„Wenn Sie dieses Foto Jahre später betrachten, werden Sie die Sonne auf Ihrem Gesicht spüren, so wie heute.“ Mit diesem Spruch geht Rafi (Nawazuddin Siddiqui) am Gate to India, dem touristischen Hotspot der indischen Metropole Mumbai, auf Kundenfang. Der eher zurückhaltende Mittvierziger verdient sein Geld mit Porträtfotos­ vor dem imposanten Tri- umphbogen aus der britischen Kolonialzeit. In seinem Rucksack hat er einen kleinen Fotodrucker – sein Job wirkt in Zeiten von Handys und Selfiesticks wie aus der Zeit gefallen. Entsprechend karg ist sein Lohn, den er auch noch nahezu komplett an seine Großmutter Dadi überweist.

Die alte Dame (Farrukh Jaffar) wehrt sich jedoch gegen diese Art der Aufopferung. Sie verweigert ihre Medikamente, bis ihr Enkel endlich Verantwortung für sich selbst übernimmt, was heißt, dass er endlich heiraten und eine Familie gründen soll. Also schickt Rafi seiner Großmutter ein Foto, das er von Miloni (Sanya Malhotra) gemacht hat, einer hübschen, etwas verloren wirkenden Studentin, die sich kurz zuvor von Rafis Spruch von der Sonne auf dem Gesicht in den Bann geschlagen fühlte. Ein paar Sekunden nur, genug für ein Foto. Schon war sie wieder in der Menschenmasse verschwunden.

Dadi reist nach Mumbai, um die Schwiegertochter in spe unter die Lupe zu nehmen. Rafi bleibt nichts anderes übrig, als Miloni zu überreden, für eine Runde Chai seine Freundin zu spielen.

Regisseur Ritesh Batra hat seit seinem Langfilmdebüt „Lunchbox“ vor sechs Jahren international Karriere gemacht. Nach zwei englischsprachigen Filmen kehrte er für „Photograph“ wieder nach Indien zurück. Seinem Stil ist er treu geblieben. In unaufgeregtem Tempo, mit augenschmeichelnd ins Licht gesetzten, eher alltäglichen Schauplätzen und charismatischen Darstellern erzählt er romantisch-melancholisch, mit ironischem Augenzwinkern von der indischen Gesellschaft. Er macht also indisches Kino für ein Publikum, das mit Arthouse-Filmen mehr anfangen kann als mit den exaltierten Traumwelten Bollywoods.

Nicht von ungefähr sind an „Photograph“ nun etliche internationale Koproduzenten und auch die Amazon Studios beteiligt. Es spricht dabei für Batras Souveränität, dass auch sein neuer Film nicht wie ein weichgespülter Kompromiss wirkt. Dank eher beiläufig inszenierter Details, wie etwa das Anpreisen von Bleichcremes, die Dunkelhäutigeren den sozialen Aufstieg erleichtern sollen, gelingt ihm ein geradezu nüchtern wirkendes Porträt der indischen Gesellschaft und ihrer krassen Hierarchien. Die zögerlichen Versuche einer Annäherung zwischen Miloni und Rafi geraten schließlich zu einer liebevoll-spöttischen Hommage an das Kino selbst, das doch allzu oft behauptet, die Liebe sei so einfach und berechenbar wie das Drehbuch einer romantischen Komödie.

„Photograph“ Indien, D u. a. 2019, 109 Min., o.A., R: Ritesh Batra, D: Nawazuddin Siddiqui, Sanya Malhotra, Sachin Khedekar, täglich im Koralle, Passage; www.filmweltverleih.de/cinema/movie/photograph