Kino ist „bigger than life“. Das gilt auch für die eigene Vita. In Pedro Almodóvars „Gesetz der Begierde“ – dem ersten Film, den er 1987 in seiner eigenen Produktionsfirma Deseo drehte und die ihm seither seine eigene Handschrift sichert – ging es um einen schwulen Filmregisseur, der sich sein Leben schöner macht, als es ist, der Dinge neu inszeniert und so gestaltet, wie er sie haben will.

Am 25. Juli kommt Almodóvars jüngster Film „Leid und Herrlichkeit“ in die Kinos, in dem es wieder um einen Regisseur in der Krise geht. Aber wie viel Dichtung, wie viel Wahrheit steckt da wirklich drin? Der mittlerweile 69-jährige Almodóvar, darauf angesprochen, ob der Film denn autobiografisch sei, antwortet jedenfalls mit einem beherzten Jein: „Nein. Und: ja, auf jeden Fall.“

Gleich zu Beginn taucht ein Regisseur ab. Die Übung im Schwimmbecken ist zwar erst mal nur eine Therapie gegen seine Rücken- und Knochenschmerzen. Aber weil Salvador (Antonio Banderas) zudem noch unter Tinnitus, Kopfschmerzen und Ohnmachtsanfällen leidet, kann er nicht mehr arbeiten. Und zieht sich zurück. In sein Haus. In Wehmut, Depressionen – und in seine Erinnerungen. Dann aber wirft ihn die Vergangenheit gleich dreimal in die Gegenwart zurück. Mit drei Schlüsselerlebnissen. Mit drei Männern.

Erst wird ein alter Film von Salvador restauriert, „Sabor“. Den soll er noch mal vorstellen, er will das aber nicht allein tun, sondern sucht seinen damaligen Hauptdarsteller auf. Nun sitzt der alte Schauspieler, mit dem Salvador seit jenen Tagen nicht mehr gesprochen hat, ihm gegenüber. Und lässt ihn mal Heroin probieren. Um zu entspannen. Es lindert die Schmerzen des Regisseurs. Und führt ihn in einen Dämmerzustand, der ihn süchtig macht.

Der Schauspieler will ihm aber auch einen Text abluchsen, den Salvador einst geschrieben hat, um seine erste große Liebe in den 80er-Jahren, Federico, zu vergessen. Die zerbrach damals am Drogenkonsum des Lovers. Das Stück wird zum Comeback für den Schauspieler. In der Premiere sitzt auch Federico, der genau weiß, wessen Geschichte da verarbeitet wird. Und der, nach all den Jahren, vor der Tür des Regisseurs steht.

Aber auch wenn dieses Wiedersehen letztlich ernüchternd bleibt, wird Salvador noch bis in seine Kindheit in den 60er-Jahren zurückgeworfen, in der er einem einfachen Handwerker das Lesen und Schreiben beigebracht hat – und buchstäblich umfiel, als er den jungen Mann nackt sah. Ein Erweckungserlebnis, das wieder hochkommt durch ein Bild, das der junge Mann damals zum Dank von ihm gemalt hat und das Salvador nun Jahre später zufällig in einer Ausstellung von unbekannten Straßenkünstlern wiederfindet.

Dichtung? Wahrheit? Es ist, nach „Gesetz der Begierde“ 1987 und „La mala educación“ 2004, das dritte Mal, dass Almodóvar klar autobiografisch erzählt, von einem Regisseur, seinen Nöten und Begierden – und deren Verarbeitung in einem neuen Film. „Das Gesetz der Begierde“ ist 32 Jahre her, genauso lang wie „Sabor“ in „Leid und Herrlichkeit“. Und auch Almodóvar hatte sich damals mit seinem Hauptdarsteller zerstritten.

Wieder arbeitet Almodóvar hier mit zwei Schauspielern zusammen, die er zu Stars gemacht hat. Penélope Cruz, die seine Mutter in seiner Kindheit spielt, und vor allem Antonio Banderas, der im „Gesetz der Begierde“ noch den Lover des Regisseurs gab und den Almodóvar jetzt als sein Alter Ego agieren lässt. Banderas’ Salvador sitzt in Almodóvars eigener Wohnung, in der Küche im berühmten Tomatenrot, seiner Lieblingsfarbe. Almodóvar lässt ihn auch die eigene Kleidung tragen. Andererseits hat Almodóvar nie harte Drogen genommen. Und er hat in seiner Kindheit zwar wirklich jungen Männern das Lesen und Schreiben beigebracht, hat sich aber nicht in einen von ihnen verliebt.

Dichtung und Wahrheit verschmelzen hier zu einem klassischen Almodóvar-Opus, in dem eigen Erlebtes überhöht und mit doppelten Böden ausgelegt wird. Auch wenn die alt gewordene Mutter Salvador noch auf ihrem Sterbebett ermahnt, er solle es mit dieser Art der „Autofiktion“ nicht übertreiben.

Almodóvar zieht mit diesem, seinem 21. Film die Summe seines Schaffens zusammen und schafft noch einmal ein Meisterwerk. Wobei er auch Antonio Banderas zu seiner bisher reifsten Leistung antreibt, für die dieser auf den Filmfestspielen von Cannes denn auch als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde.

Bleibt nur, bei aller Meisterschaft, ein kleines Unbehagen: die bange Frage nämlich, ob diese Bilanz eines Lebens etwa auch so etwas wie ein Abschied ist. Und ob der Regisseur, wie sein Alter Ego zu Beginn des Films, danach wirklich abtauchen könnte.

„Leid und Herrlichkeit“ Spanien 2019, 113 Min., o. A., R: Pedro Almodóvar, D: Antonio Banderas, Penélope Cruz, Leonardo Sbaraglia, täglich im Abaton (OmU), Holi, Zeise (OmU); www.studiocanal.de/kino/leid_und_herrlichkeit