„Burning“, der 2018 auf dem Filmfestival in Cannes gefeierte Film des südkore­anischen Regisseurs Lee Chang-dong („Secret Sunshine“), erhebt das Spiel von Sichtbarem und Unsichtbarem, Vorhandenem und Nichtexistentem so virtuos und elegant zum Thema seines Mystery-Thrillers, dass bis zur letzten eindeutigen Tat trotzdem alles ungeklärt bleibt. Inspiriert von Haruki Murakamis Kurzgeschichte „Scheunenabbrennen“ aus dem Jahr 1983, die sich wiederum auf William Faulkners Erzählung „Brandstifter“ von 1939 bezieht, nimmt sich der Regisseur fast zweieinhalb Stunden Zeit, um aus Motiven beider Erzählungen ganz langsam ein sehr zeitgenössisches Gespinst aus Wahn und Wirklichkeit zu weben.

Schon das erste, leicht verwackelte Bild zeigt den Protagonisten als einen Unsichtbaren: Neben einer Lkw-Tür erscheinen Wölkchen von Zigarettenrauch, dann eine Hand, erst dann kommt die ganze Hauptfigur ins Bild. Jong-su (Yoo Ah-in), Gelegenheitsjobber und Schriftsteller ohne Werk, mit tapsigem Gang und fast immer staunend offenem Mund, begegnet zufällig seiner einstigen Klassenkameradin Hae-mi (Jeon Jong-seo). Das heißt: Sie behauptet, die schönheitsoperierte Hae-mi zu sein, er erkennt sie zunächst nicht. Doch freunden sie sich wieder an, gehen aus, landen im Bett. Sie zeigt ihm, wie man pantomimisch Mandarinen isst: Das Geheimnis sei, nicht zu denken, dass hier eine Mandarine sei. Sondern „zu vergessen, dass da keine ist“. Dieser Satz wird zu einer Art Leitprinzip dieses Films.

Hae-mi bittet ihren Freund, ihre Katze zu füttern, denn sie werde nach Afrika reisen. Hae-mi verschwindet. Und die Katze? Bleibt unsichtbar. Fast beginnt ein neuer Film, als Hae-mi aus Afrika zurückkehrt und den stets lächelnden Porschefahrer Ben (Steven Yeun) im Schlepptau hat. Jong-su ist geduldet.

Seine soziologische Genauigkeit ist eine der vielen Stärken dieses Films: Ohne sich in plumpen Schemata zu ergehen, porträtiert Lee Chang-dong die Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land. Auf die Frage, womit er sein Geld verdiene, sagt Ben nur: „Ich spiele.“ Der Film macht eine gesellschaftskritische Beobachtung und fährt damit ein weiteres Geheimnis auf, das die Geschichte vorantreibt.

Der dritte, mysteriöseste Teil beginnt mit dem erneuten Verschwinden Hae-mis. Zuvor sitzen die drei Freunde auf der Terrasse vor Jong-sus Elternhaus und betrachten den Sonnenuntergang. Hae-mi taumelt an den Rand der Terrasse, von wo aus man die grüne leere Fläche sieht, wo angeblich einst ihr Elternhaus stand. Die Mondsichel hängt am Abendhimmel, Hae-mi formt ihre Hände zu einem Vogel.

Als die Musik verstummt, richtet sich die Kamera gen Horizont und hält die Stille aus, die nach dem „Als ob“ eines Nachhause-Fluges kommt, der eben doch nicht möglich ist. Dem Tanz folgt ein seltsames Geständnis Bens: Alle zwei Monate brenne er ein altes Gewächshaus ab, aus Spaß. Jong-su wird zum Getriebenen, sucht nach Hinweisen auf ein eventuell bevorstehendes Feuer, nach Beweisen, dass Ben hinter Hae-mis Verschwinden steckt, eine irre Suche eines Schriftstellers nach dem Realen. So gelingt Lee Chang-dong eine sich in die Netzhaut brennende Parabel auf die Schwindelmaschine Kino: Deren Magie funktioniert ja nicht deshalb so gut, weil die Bilder vergessen lassen, dass all die Dinge immer nur Vorstellungen sind.

„Burning“ Südkorea 2018, 148 Min., ab 16 J., R: Lee Chang-dong, D: Yoo Aah-in, Jeon Jong-seo, Steven Yeun, täglich im Abaton, Studio; www.capelight.de/burning