Über das Duell, wer die zugkräftigeren Superhelden sind, die Avengers aus dem Hause Marvel oder die Bat-, Super- und Aqua-Men aus dem Hause DC, sind die X-Men ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei haben sie – die ebenfalls aus dem Hause Marvel stammen, aber noch von der 20th Century Fox verfilmt worden, bevor Marvel selbst ein Filmstudio gründete – die Comic-Filmwelle doch eigentlich erst begründet. Und sie haben schon das hinter sich, was die Avengers vermutlich bald vor sich haben: einen kompletten Austausch durch jüngere Schauspieler. Merke: Auch vor Superhelden macht das Alter nicht Halt.

„X-Men: Dark Phoenix“ ist bereits der vierte Film der jüngeren Garde (und der zwölfte insgesamt). Und man muss, wie so oft in der Comic-Welt, die früheren Teile auch vergessen können. Weil Hugh Jackman als Wolverine der Einzige war, der sowohl bei den älteren als auch bei den jüngeren Filmen mitwirkte, dann aber ausstieg und nun fehlt. Ohne dass dies erklärt würde. Und dann erfährt die mit telekinetischen Kräften bestückte Jean Grey alias Phoenix, die einst von Famke Janssen gespielt wurde und nun von Game-of-Thrones-Star Sophie Turner, eine Schicksalswendung, die „X-Men: Der letzte Widerstand“ (2003) krass widerspricht.

In „Dark Phoenix“ brechen die X-Men sogar ins All auf, um Astronauten in Not zu retten. Dabei wird Phoenix von einer komischen Materie befallen. Plötzlich hat sie Wutanfälle und Superkräfte, die sie nicht mehr kontrollieren kann und sie zu einem dunkleren Ich verwandeln, der titelgebenden Dark Phoenix. Als solche wird sie zur Gefahr für das gesamte Team und tötet versehentlich auch einen der Stars der Reihe (wer, soll nicht verraten werden). Das spaltet die X-Men. Die einen wollen sie besänftigen, die anderen wollen den Tod rächen. Und da ist dann noch eine anämische Dame mit schlohweißem Haar (Jessica Chastain), eine außerirdische Mutantin, die ebenfalls hinter Greys extraterrestrischen Supermächten her ist.

Bislang traten die X-Men immer als Team auf. Der neue Film dagegen gehört ganz Jean Grey. Weshalb auch schon mal der Satz fällt, warum die Truppe eigentlich noch „X-Men“ heißt und nicht „X-Women“. „Dark Phoenix“ ist, nach „Wonder Woman“ und „Captain Marvel“, tatsächlich erst der dritte Comic-Film, in der eine Superheldin die Hauptrolle spielt.

Außer üblichen Action-Spektakeln und Showdowns werden hier aber ganz essenzielle Konflikte verhandelt: Wie man damit umgeht, wenn jemand aus dem Team ausschert und seine Persönlichkeit ändert. Die Filmemacher haben dabei an Menschen gedacht, die an einer Identitätsstörung oder Geisteskrankheit leiden. Man kann freilich auch eine ganz andere Parallele ziehen: der divergente X-Men-Verein als EU und Dark Phoenix als fleischgewordener Brexit. Wozu dann ja auch die Boris-Johnsohn-hafte Erscheinung von Jessica Chastain bestens passen würde.

Die 20th Century Fox wurde bekanntlich inzwischen von Disney aufgekauft, ebenso wie zuvor das Marvel-Studio. Einer anderen Vereinigung stünde damit eigentlich nichts mehr im Wege: die X-Men als Teile der Avengers. Aber das ist eine andere Geschichte.

„X-Men: Dark Phoenix“ USA 2019, 114 Min., ab 12 J., R: Simon Kinberg, D: Sophie Turner, Jessica Lawrence, James McAvoy, ­ Michael Fassbender, täglich im Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Hansa, Savoy (OF), UCI Mundsburg/Othmarschen-Park/Wandsbek; www.fox.de/x-men-dark-phoenix