Was unterscheidet wohl die menschliche Spezies von den Aliens? Eine mögliche Antwort darauf gibt Regisseurin Claire Denis gleich mit den ersten Szenen ihres Films „High Life“. Darin sieht man den Astronauten Monte (Robert Pattinson), wie er im Raumanzug von außen an seinem Schiff herumschraubt und währenddessen über das im Helm eingebaute Mikrofon besänftigend auf ein kleines Kind einredet. Das steht derweil in einem Gitterbettchen im Innern des Raumschiffs vor riesigen Monitoren und äußert sein Unwohlsein in stotternden Lauten, die langsam, aber sicher in Geheul übergehen. Monte redet dem kleinen Mädchen gut zu, aber als es laut zu weinen anfängt, muss er die Arbeit unterbrechen; aus Versehen fällt ihm das Werkzeug aus der Hand und ins Nichts des Alls. Und genau diese Reaktion ist es, die unter anderem den Menschen ausmacht: Er kann es nicht ertragen, wenn Kinder weinen.

Claire Denis hat sich mit manchmal sperrigen („White Material“) und manchmal gefälligeren („Meine schöne innere Stimme“) Autorenfilmen einen Namen gemacht, die stets subtil den Macht- und Geschlechterverhältnissen auf der Welt nachgingen. Dass die 73-jährige Französin nun für ihr Spätwerk noch ins populäre Science-Fiction-Genre wechselt und dazu noch mit einem prominenten Teenie-Idol wie Robert Pattinson arbeitet – das ließ so manchen Kenner im Vorfeld die Stirn runzeln. Tatsächlich könnte man in der ersten Viertelstunde von „High Life“ fast vergessen, dass dies Science-Fiction ist und die Handlung in einem Raumschiff im All spielt. Monte, wie er sich um seine kleine Tochter kümmert, sie füttert, tröstet, badet und mit Ratschlägen versorgt – das könnte auch ein irgendwo im Abgelegenen lebender alleinerziehender Vater auf der Erde sein. Allein seine etwas kryptischen, aus dem Off gesprochenen Sätze weisen auf etwas anderes hin. Von „unserer Mission“ spricht er da und meint eine Vergangenheit, in der das Wir mehr umschloss als ihn und ein kleines Kind.

Später holt der Film nach, was sich hier abgespielt hat. Und spätestens da erweist sich „High Life“ als Nachfolger von Stanley Kubricks „2001“: ein Science-Fiction-Film, der seine imaginierte Zukunft so konsequent aus den Fragen unserer Gegenwart heraus baut, dass ein Essay-Film über die menschliche Existenz entsteht. Monte war Teil einer Mission; die zum nächsten Schwarzen Loch fliegen sollte, um dessen Potenzial für Energie­gewinnung zu erkunden. Die Besatzung des Schiffs bestand aus vorwiegend kriminellen Jugendlichen, denen man für die Mission Straferlass angekündigt hatte. Aber das war eine Lüge: Schon vor dem Start ging man davon aus, dass sie nicht zurückkehren würden. Die Jugendlichen werden über Medikamente von einer Dr. Dibs (Juliette Binoche) kontrolliert. Lars Eidinger ist kurz als Pilot zu sehen, der die Strahlung des Weltalls schlecht verträgt. Ohne ihn aber besteht erst recht keine Aussicht mehr, es durch das Schwarze Loch zu schaffen.

„High Life“ ist eine Art Gegengift zu „Star Wars“ – und dergleichen: Statt Laserschwertern, Actionszenen und fiktiven Außerirdischen dreht sich alles um das Rätsel Mensch – und darum, was Isolation und Einsamkeit aus ihm machen. Das Zickzack aus Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart, in dem Denis die Handlung aufschließt, hat eine Art hypnotischer Wirkung, weil kaum etwas ausgesprochen, sondern alles gezeigt wird. Am Ende hat man als Zuschauer mehr Fragen als Antworten im Kopf, was einer echten Bereicherung gleichkommt.

"High Life" GB/F/D 2019, 113 Min., ab 16 J., R.: Claire Denis, D: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Lars Eidinger, täglich im Studio (OmU), Zeise (OmU); high-life.pandorafilm.de