Will Smith ist blau. Er bläst sich ganz schön auf. Und Märchen tischt er einem auch noch auf. Aber der Hollywoodstar ist nicht etwa zum Unsympathen mutiert. Sondern zum Dschinn, der im Kinofilm „Aladdin“ alles tut, um jedem, der an seiner Lampe rubbelt, Wünsche zu erfüllen. Das Märchen von Aladdin und der Wunderlampe kennt jeder aus „1001 Nacht“. Na ja, vielleicht kennen viele es inzwischen nur noch als Disney-Trickfilm. Der wurde 1992 zum Klassiker, dann auch, mit den Film-Hits von Alan Menken, zum Bühnen-Musical. Und nun ist der Trickfilm „real“ verfilmt worden, mit echten Darstellern also. Wobei „real“ auch wieder relativ ist. Weil zahllose Effekte da entstanden, wo heute auch die Animationsfilme herkommen: nicht mehr aus dem Pinsel, sondern aus dem Computer.

Regisseur Guy Ritchie tut ganz gern des Guten zu viel. So auch hier

Noch einmal erleben wir also den armen Titelhelden Aladdin, der sich mit kleinen Diebereien über Wasser hält, sich in die unerreichbare Prinzessin Jasmin verliebt. Und dann an die Wunderlampe gerät und an den Lampengeist Dschinni, der ihm drei Wünsche erfüllt. Wobei der böse Großwesir Dschafar hinter genau dieser Lampe her ist, um mit den Mächten des Dschinni den Sultan vom Thron zu schubsen und selbst Herrscher zu werden. Noch einmal also werden wir in die zauberhafte Märchenwelt des Morgenlandes entführt. Der Prunk protzhafter Paläste, choreografierte Massenstatisterie, effektvolle Zaubereien, fliegende Teppiche und Riesentiger als Schmusekätzchen: Das wäre einst tricktechnisch so teuer, so schwierig gewesen, dass es nur als Trickfilm machbar war. Doch dank CGI, also moderner Computertricks, wird das alles nun auch „real“ möglich. Dabei ist die Traumfabrik beim Auftischen von Märchen ganz in ihrem ureigenen Element.

Und „Aladdin“ ist nicht nur das Remake des Trickfilms, sondern auch noch die Verfilmung des Musical-Hits. Wofür der acht Oscar schwere Komponist Alan Menken eigens noch mal neue Songs komponiert hat. Regie führte der Brite Guy Ritchie, der in seinen Kinoexzessen immer auf pure Überwältigung setzt. Dabei übertreibt er auch gern und tut des Guten zu viel. So auch hier: Verfolgungsjagden durch die engen Souks von Agrabah werden so rasant in Szene gesetzt, dass man kaum folgen kann, Tanzszenen im Stakkato durchgepeitscht, dass man viele Details übersieht.

Und wenn Aladdin (Mena Massoud) und Jasmin (Naomi Scott) auf einem fliegenden Teppich segeln, dann ist auch das kein poetisch-romantischer Ruhemoment, der Teppich flitzt fast mit Ultraschall­. Aber woran es sonst mangelt in Guy-Ritchie-Filmen, hier findet man es doch: das Sentiment, das Gefühl. Dafür hat Disney schon gesorgt.

Bis auf Will Smith spielen keine Stars mit

Bis auf den Dschinni sucht man Stars dabei vergebens. Wohl aus Angst vor der „White Wa­shing“-Debatte – die etwa Scarlett Johannsen ereilte, als sie und keine Asiatin die japanische Anime-Heldin in „Ghost in the Shell“ verkörperte – hat man stattdessen auf aufstrebende Darsteller mit arabischstämmigem Hintergrund gesucht.

Das führt auch zu dem einzigen echten Manko dieses Films: dass der Böse, Dschafar (Marwan Kenzari) einfach nicht richtig böse ist. Wohl aus Sorge, man könnte ein muslimisches Feindbild kreieren, das missverstanden und von der falschen Seite akklamiert werden könnte. Der Großwesir wird deshalb letztlich auch nur als Dieb wie Aladdin dargestellt, nur dass der dennoch ein gutes Herz hat, der andere nicht.

Ein Märchen, ein Disney-Film ohne richtig Böse, darunter leidet die Dramaturgie ein bisschen. Aber all das macht Will Smith vergessen. Es braucht zwar fast eine Dreiviertelstunde, bis er endlich aus seiner Lampe braust. Aber fortan bestimmt er das Geschehen. Er sorgt für die Späße und die Knallmomente, reitet auf Vögeln, springt in Frauengewänder, tanzt sich den Wolf. Er darf singen und im Abspann rappen. Sodass man selbst Robin Williams vergisst, der beim Trickfilm das Vorbild für den Dschinni gab.

Ein Disney-Film, der uns in eine andere Welt verzaubert. Ein Filmmärchen, das man einfach lieben muss. Und das uns eine optimistische, friedvolle Gegenvision zum Krisenherd Nahost liefert. Und doch, ein wenig melancholisch wird man, denn früher war Disney so reich und fantasievoll, dass die Trickfilme zu erfolgreichen Musicals inspirierten. Jetzt gilt die Devise Rolle rückwärts: Die alten Erfolge werden immer wieder gemolken, die Musical-Adaptionen selbst wieder verfilmt.

Die Schätze von einst werden einfach noch einmal recycelt

Und die „Real“-Verfilmungen der Trickfilmklassiker kommen schon fast im Monatsrhythmus: Ende März erst startete „Dumbo“, im Juli folgt „Der König der Löwen“. In Ermangelung originärer Filmideen werden einfach die Schätze von einst recycelt. Und das, um sich einen einzigartigen Fundus anzulegen. Disney will ein eigenes Streamingportal „Disney Play“ eröffnen und Plattformen wie Netflix, Maxdome oder Amazon Prime den Kampf ansagen. Dazu muss man attraktive neue Titel anbieten können. Da verrät das Mäuse-Imperium doch ein eiskaltes Wirtschaftskalkül. Wie fantasiert Dschafar, der Großwesir, seine Allmachtsgelüste in diesem Film? „Ich werde ein Imperium gründen, das die Geschichtsschreibung nicht übersehen kann.“

„Aladdin“ USA 2019, 129 Min., ab 6 J., R: Guy Ritchie, D: Mena Massoud, Will Smith, Naomi Scott, täglich im Astor (OF), Cinemaxx Dammtor (auch OF)/Harburg/Wandsbek, Hansa (3D), Savoy (OF), UCIs Mundsburg/Othmatrschen Park/Wandsbek; https://disney.de/filme/aladdin-2019