Wie machen das die Franzosen nur? Immer die großen Themen erzählen, aber immer im kleinen, überschaubaren Rahmen­. Diese Form der Gesellschaftskomödie oder besser -tragikomödie – weil Lachen und Weinen hier ganz oft nah bei­einanderliegen –, die macht dem französischen Kino in dieser Leichtigkeit, dieser Eleganz, diesem Wortwitz kaum einer nach.

Jüngstes Beispiel: „Das Familienfoto“. Cecilia Rouaud, die den Film geschrieben und inszeniert hat, schafft es in Kürze, dass man eine Familie über vier Generationen in kürzester Zeit ins Herz schließt. Und obwohl es gleich mit einer Beerdigung losgeht, wird der Ton von Anfang an ironisch gebrochen. Die eine kommt zu spät, der andere schafft es gar nicht. Und die Großmutter (Claudette Walter), von allen liebevoll „Mamie“ genannt, fragt vorn im Trauerzug, ob da ihr Sohn beerdigt werde. Nein, belehrt man sie, ihr Gatte. „Ach, ist er tot?“, entgegnet sie abwesend. „Der Arme.“

Demenz, lange Zeit ein Tabuthema, wird in der zunehmend alternden Gesellschaft immer offener behandelt. Auch im Kino. Erst vor zwei Wochen startete ein anderer französischer Film, „Der Flohmarkt von Madame Claire“, in der Catherine Deneuve aus Angst, bald alles zu vergessen, ihre letzten Dinge ordnet. In „Das Familienfoto“ aber steht das Thema nicht im Mittelpunkt – was auch mal erfrischend ist, vielleicht auch zur Normalität beiträgt.

Es ist Auslöser einer ganz anderen Geschichte. Mamie nämlich ist gar nicht unglücklich mit ihrem Zustand, ist sich ihrer Defizite nicht bewusst. Dass die 86-Jährige bald sterben wird, weiß sie. Sie will nur nicht in Paris beerdigt werden, sondern auf dem Land, in Saint-Julien, wo die Familie früher den Sommer verbrachte. Dafür läuft sie schon mal nachts im Pyjama zum Bahnhof.

Sohn Pierre (Jean-Pierre Bacri) möchte seine Mutter am liebsten ins Heim stecken. Aber seine erwachsenen Kinder sträuben sich dagegen. Zumindest die Töchter. Sie wollen für Mamie sorgen. Auch wenn die selbst genug Probleme haben. Die alleinstehende Gabrielle (Vanessa Paradis) hangelt sich durchs Leben und kann nicht damit umgehen, dass ihr pubertärer Sohn lieber zu seinem Vater ziehen will.

Elsa (Camilla Cottin) lebt in einer Beziehung, die aber leidet darunter, dass es mit dem Kinderkriegen nicht klappt. Ihr Bruder Mao (Pierre Deladonchamps) ist schon gar keine Hilfe, er ist bindungsunfähig, neigt gar zu Selbstmordabsichten.

Dass Mutter Claudine (Chantal Lauby) Psychiaterin ist, hat ihnen nicht geholfen. Die Familie ist ein einziger Neurosenstadl und lebt das bei jedem gemeinsamen Treffen aufs Neue aus. Warum sie so neurotisch sind, ist auch bald heraus: weil die Eltern sich früh scheiden ließen und die Geschwister auseinandergerissen wurden. Sie können sich nur an gemeinsame Sommerferien erinnern – in Mamies Sehnsuchtsort Saint-Julien.

Man ahnt, worauf es im Film hinausläuft. Die Familie kommt sich in der Sorge um die Urgroßmutter – die Einzige, die aufgrund der Demenz ganz kummerfrei ist – näher. Aber das Schöne an Rouauds Film ist, dass sie zwar mit den Klischees und Erwartungen spielt, dann aber doch alles überraschend anders auflöst. Und nicht alles in ein fades Happy End mündet.

Neben den wunderbaren Dialogen und dem grandiosen Spiel der Schauspieler lebt „Das Familienfoto“ auch von den vielen hübschen Momenten. Die Psychologin, die nicht mehr rauchen will, aber am Rauch von Zigaretten schnuppert. Oder die Mutter, die das Kinderzimmer in Unordnung bringt, um sich vorzugaukeln, der Sohn sei noch da. Es sind diese kleinen, schön beobachteten Details, die diesen Film so reich machen. Großes, emotionales Kino, das die vielen kleinen Unzulänglichkeiten des Lebens auf eine Weise verhandelt, dass sie einem ein Lächeln entlockt.