Hatun Aynur Sürücü war eine junge Berliner Frau und Mutter, die im Februar 2005 von einem ihrer Brüder auf offener Straße erschossen wurde. Ihr selbstbestimmtes Leben war offenbar nicht mit der kurdisch-sunnitischen Tradition ihrer streng religiösen Eltern vereinbar.

Zu einer Jugendstrafe wurde nur der geständige jüngste Bruder Ayhan verurteilt, eine Mitschuld weiterer Familienmitglieder sahen die Richter bisher nicht als erwiesen an. Zuletzt wurde eine Autobahnbrücke in Neukölln nach Hatun Sürücü benannt, so ziemlich das Gegenteil eines Ortes, der zum Innehalten auffordern würde.

In „Nur eine Frau“ lassen Regisseurin Sherry Hormann und ihr Drehbuchautor Florian Oeller die Erschossene radikal aus der Ich-Perspektive ihre Geschichte selbst erzählen. Und auch kommentieren. Ihren echten Rufnamen Aynur benutzend, äußerst einnehmend gespielt von der jungen „Tatort“-Kommissarin Almila Bagriacik, nimmt sie das Publikum bei der Hand. Sie führt durch ihren Kiez in Kreuzberg und in ein Geschäft für Brautmoden, wo sie als 15-Jährige für ihre Heirat mit einem Cousin in Istanbul herausgeputzt wird. Zwei Jahre später kehrt sie nach Berlin zurück, hochschwanger, auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Mann.

Aynur darf bei ihrer Familie bleiben. Sie bringt ihren Sohn zur Welt, doch das Leben auf beengtem Raum zwischen drei Brüdern, drei Schwestern und ihren Eltern wird unerträglich. Mithilfe des Jugendamts zieht sie als Alleinerziehende in eine eigene Wohnung in Tempelhof.

Gesehen durch die Kamera von Judith Kaufmann, verdüstert sich fortan die Welt von Aynurs Familie. Es wird immer weniger gesprochen, weil die Dialoge vor allem auf den Gerichtsakten beruhen, nichts frei spekulierend hinzuerfunden wurde. Aber vor allem, weil es den Sürücüs so vorkommt, als bliebe ihnen durch Aynurs Auszug nur noch ein Leben im Schatten der Schande. Tatsächlich kreisen nicht nur die Gedanken der Eltern und Geschwister permanent um ihr verletztes Ehrgefühl. Auch in der Moschee wird der Vater nun von anderen Männern gemieden. „Die Leute reden über uns“, wird zum wiederkehrenden Mantra ihrer fortschreitenden sozialen Isolation.

Es entsteht Raum für Trauer, aber auch für eine rückhaltlose Feier des Lebens


Auf der anderen Seite legt Aynur ihr Kopftuch ab, beginnt eine Ausbildung zur Elektroinstallateurin, hat mit Tim (Jacob Matschenz) einen deutschen Freund und erfährt Unterstützung von türkischen Freunden und ihrem kurdischen Ausbilder, die Muslime sind, aber Religion als rein persönliche Angelegenheit verstehen. Immer wieder sucht sie Kontakt zu ihrer Familie, doch die Front bleibt verhärtet. Ihr jüngster Bruder, im Film heißt er Nuri (Rauand Taleb aus „4 Blocks“), erhält von einem radikalen Prediger das moralische Rüstzeug, das ihn letztlich zum vermeintlichen Retter seiner Familienehre werden lässt.

„Nur eine Frau“ zeigt all das auf eine sehr vitale, mitreißende und tief berührende Art, obwohl und gerade weil dem Film eine brodelnde Unruhe und Zerrissenheit zu eigen ist. Sherry Hormann beglaubigt ihre Erzählung mit dokumentarischem Material und privaten Bildern der echten Hatun Sürücü, benutzt zudem Überhöhungen, wie man sie aus dem Popcornkino kennt. Nicht alles gelingt, die Vielzahl der Orte und Ebenen droht manchmal zu verwirren. Letztlich ist hier aber eine filmische Form gefunden worden, mit der die wahre Geschichte von Hatun Sürücü aus den Limitierungen eines Sozialdramas befreit wurde.

Es entsteht Raum für Trauer, für Innehalten und Reflexion, aber auch für eine rückhaltlose Feier des Lebens. „Nur eine Frau“ ist auch als Hommage zu verstehen, an jene Frauen aus Sürücüs Umfeld, die vor Gericht uneingeschüchtert ihre Aussagen machten und den Mut bis heute mit dem Leben im Zeugenschutzprogramm, in der Anonymität, bezahlen.

„Nur eine Frau“ D 2019, 90 Min., ab 12 J., R: Sherry Hormann, D: Almila Bagriacik, Rauand Taleb, Meral Perin, täglich im Abaton, Blankeneser, Holi, Koralle, Studio, Zeise; https://vincent-tv.com/2019/02/19/nureinefrau