Wenn es trotz allem irgendwie weitergehen soll im Leben, in der Politik oder mit der Liebe, braucht es manchmal eine Revision. Und so steht das Paar in „Asche ist reines Weiß“ gleich zweimal vor einem äußerlich ruhigen Vulkan, der alles zum titelgebenden Weiß verbrennt. Beim ersten Mal befinden wir uns im Jahr 2001, beim zweiten Mal im Jahr 2018. Bin (Liao Fan) und Qiao (Zhao Tao) sind älter geworden, ansonsten sieht alles unverändert aus in dieser kargen Weite im Norden Chinas.

Und doch hat man in der Zwischenzeit eine ganze Epoche übers Land ziehen sehen, den Raum und die Leere gespürt, die diese beiden auf Tausenden Kilometern per Schiff, Zug und Bus zwischen sich gebracht haben, um am Ende fast am selben Punkt zu stehen. Der chinesische Regisseur Jia Zhangke hat für seinen neuen Film eine Revision des eigenen Werks vorgenommen. Während des Schnitts seiner vorherigen Filme „Unknown Pleasures“ (2002) und „Still Life“ (2006) mit Zhao Tao habe er einige der Liebesszenen rausgeschnitten, um die Geschichte zu komprimieren. Und so verschieden die beiden weiblichen Charaktere auch gewesen seien, so deutlich seien sie zu einer einzigen Person verschmolzen: Zu Qiao.

Es wirkt fast so, als handele es sich bei „Asche ist reines Weiß“ um mehrere Filme: In den ersten 45 Minuten im Jahr 2001 folgt die Kamera der selbstbewussten Qiao durch ein Unterwelt-Lokal, in dem sie sich bewegt wie ein Fisch im Wasser. Sie ist gut drauf und wird von allen respektiert, schließlich ist sie die Freundin Bins, des rechtschaffenen Chefs einer lokalen mafiösen Bruderschaft. Mit ein paar Schüssen, die sie in die Luft abfeuert und mit denen sie Bin bei einer Schlägerei das Leben rettet, endet dieser erste, bunte, raue Teil. Wegen illegalen Waffenbesitzes und weil sie ihren Freund nicht verrät, muss sie ins Gefängnis.

Mit ihrer Entlassung fünf Jahre später beginnt das zweite Kapitel. Die Farben sind entsättigt und fahl, Qiao ist ungeschminkt und still. Und doch gibt es auf ihren Fahrten komische Momente, etwa wenn sie von einer guten Christin ausgeraubt wird und sich danach das nötige Reisegeld zusammengaunert. Ihre Reise führt sie in den feuchtwarmen Süden. Sie sucht Bin, der den Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Hier bleibt alles im Transit, Jia Zhangke lässt die beiden einfach an einem Bootsanleger nebeneinander ins Bild kommen, als hätten sie sich nie getrennt, nur auseinandergelebt. Die ultrakurzen Sätze, die sie sagen: ein beeindruckendes Duett von der gestorbenen Liebe, die sich womöglich in etwas anderes verwandelt hat. Doch die jederzeit unvorhersehbare Liebesgeschichte hat mehrere Enden, alles steht unter Vorbehalt, so wie im 2006 spielenden Mittelteil auf der Fahrt durch die „Drei Schluchten“ die Häuser am Ufer, die in wenigen Jahren unterm Wasserspiegel verschwunden sein würden.

2018, im dritten Teil, häutet sich der Film erneut. Wir sehen Bin und Qiao wieder in derselben Kaschemme wie 2001. Derselbe Ort, dieselben Menschen, doch hat sich etwas Wesentliches geändert. Die geschmeidig das Tempo wechselnde Kamera verstärkt den paradoxen Eindruck von Stillstand und Dynamik einer Liebe – und eines Staates: Wir sehen riesige leere Plätze, nie eröffnete Stadien, verlassene Bahnhöfe. Dazu baut der Soundtrack akustische Räume der Ortlosigkeit, von Disco-Pop zu sphärischen Klängen, zusammengehalten vom anschwellenden Hämmern, als zwinge ein Schmied die drei Teile zu einem Ganzen: Gangster-Epos, Melodram und elegisches Landesporträt.