Ein Biopic über einen Künstler, der immerfort als Muttersöhnchen gezeigt wird? Das kann sich eigentlich niemand wünschen. Aber bei keinem ist eine solche Darstellung wohl berechtigter als bei Roman Kacew (1914–1980), der unter dem Künstler-Namen Romain Gary zum großen Literaten aufstieg.

„Das ist mein Sohn“, ruft seine Mutter einmal, als der Spross noch ganz klein ist und die Nachbarn sich über das Immi­grantenkind lustig machen, „er wird mal Autor, französischer Botschafter und Offizier der Luftwaffe. Und seine Kleider wird er aus London kommen lassen.“ Tja, und all das hat sich dann auch wirklich erfüllt. Auch wenn es Gary, wie er selbst bekundete, lästig war, seine Kleider extra aus London zu beziehen, hat er sie auch nach dem Tod der Mutter tapfer getragen.

Dass Filmbiografien sich chronologisch durch die Vita ihrer Protagonisten blättern, ist längst passé. In jüngerer Zeit werden sie eher an einem Schlüsselmoment festgemacht. Oder eben unter einem besonderen Aspekt verfolgt. Das Genie als Muttersöhnchen dürfte dabei der bislang originellste Annäherungsversuch sein. Macht aber auch Sinn, wenn man sich Garys Oeuvre ansieht. In seinem späten Roman „Frühes Versprechen“, der auf Deutsch zunächst gar unter dem Titel „Erste Liebe – letzte Liebe“ erschienen ist, hat sich der Schriftsteller, wenn auch zu großen Teilen fiktiv, genau mit dieser Helikopter- und Übermutter beschäftigt, die ihn zeitlebens angetrieben hat. Insofern ist dieser Film Biopic und Buchadaption zugleich.

Gleich zu Anfang sehen wir den alt gewordenen, gequälten Schriftsteller, der meint, an einem Hirntumor zu sterben, und zuletzt noch diese eine, sein Leben bestimmende Geschichte aufs Papier werfen muss. Wie als Vermächtnis. Oder auch als Bilanz, dass er all diese titelgebenden frühen Versprechen, die seine Mutter im Hof den Nachbarn zugeschrien hat, auch wirklich eingelöst hat.

Dann springt der Film zurück in die Kindheit. Zeigt, wie die jüdisch-russische Nina Kacew (Charlotte Gainsbourg) mit ihrem Sohn nach der Oktober­revolution nach Polen flieht, wo sie ihn allein aufzieht und sich mit einem eigenen Modesalon durchschlägt. Der Bub wird als Jude verspottet, bespuckt und verprügelt, doch die Mutter schärft ihm ein, keine Memme zu sein. Als auch sie beleidigt wird, fordert sie, dass er das nie zulassen dürfe: „Auch wenn sie dir die Knochen brechen.“

Was für eine Mutter, die den Sohn immer wieder in Verlegenheit bringt. Die ihm auch ständig reinredet, was er nicht tun darf und was stattdessen aus ihm werden soll. Aber was für eine Stärke auch, wie sie allein mit ihm ihren Weg geht, wie sie wegen des Judenhasses abermals flieht und sich in Paris eine dritte Existenz aus dem Nichts aufbaut.

Auch den erwachsenen Romain (Pierre Niney) wird sie immer wieder in größte Verlegenheit bringen, vor den Frauen, denen er zugetan ist, aber auch vor den Soldaten, mit denen er in den Krieg gegen Hitler ziehen will. Das ist peinlich und amüsant zugleich anzuschauen. Aber es hat auch immer eine tragische Komponente. Wenn sie ihm etwa das Leben nur rettet, weil sie sich am Telefon nicht abwimmeln lässt.

Der Film ist ein Denkmal für einen Künstler, der hierzulande eher vergessen ist. Ein Film, der aber auch, das ist leider wieder aktuell, vom allgegenwärtigen Antisemitismus erzählt. „Frühes Versprechen“ ist aber auch ein großes Fest für zwei Schauspieler. Für den noch jungen Pierre Niney, der sich in Frankreich mit nur wenigen Filmen, aber schon etlichen Biopics („Yves Saint Laurent“, „Jacques – Entdecker der Meere“) ganz nach vorn gespielt hat. Vor allem aber für Charlotte Gainsbourg, die nicht nur den Sohn, sondern auch den Film klar dominiert. Eine fatale Mutter-Sohn-Beziehung, die der Welt doch eine Menge Gutes gebracht hat.

„Frühes Versprechen“ F 2017, 131 Minuten, ab 6 Jahren, Regie: Eric Barbier, Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Pierre Niney, Sa/So im Passage