Eigentlich ist sie ja Chorleiterin und als solche auf Wohlklang, Harmonie und Eintracht bedacht. Doch die warmherzige Isländerin Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) führt ein Doppelleben, von dem nicht mal ihre Zwillingsschwester etwas ahnt. Als überzeugte Umweltaktivistin führt sie, ganz allein, einen regelrechten Krieg gegen die nationale Aluminiumindustrie. Und gegen die hohe Politik, die einen milliardenschweren Deal mit China aushandelt, ohne dabei auf Umweltbelange Rücksicht zu nehmen.

Gleich anfangs sehen wir die patente Frau deshalb in der malerischen, unendlich weiten Landschaft Islands beherzt Pfeil und Bogen auspacken, womit sie ein Metallseil über eine Hochspannungsleitung schießt. Und einen Kurzschluss verursacht, der die nahe Aluminiumhütte lahmlegt. Danach flieht sie behände durch die Heide und weiß sich vor den auf den Plan gerufenen Helikoptern und Polizisten unter Büschen oder in Felsspalten zu verstecken. Eine Frau, die ihren Mann steht, die, wie es im deutschen Titel heißt, „gegen den Strom“ schwimmt und dabei alle Risiken auf sich nimmt.

Der isländische Regisseur Benedikt Erlingsson, vor fünf Jahren international bekannt geworden mit seinem sehr schrägen Film „Von Menschen und Pferden“, legt nun mit einem nicht minder eigenwilligen Film nach, der schon in Cannes für Aufsehen sorgte und gerade vom EU-Parlament den Lux-Filmpreis erhalten hat. „Woman In War“, so der internationale Titel, ist durchaus ein politischer Film, der eine Umweltaktivistin als Heldin feiert. Ein Thema, das man auch als Drama angehen könnte. Denn als Vorbilder nennt Erlingsson couragierte Mitstreiterinnen der Organisation Life Itself, Yolanda Maturana aus Kolumbien und Berta Cáceres aus Honduras, die wegen ihrer Tätigkeiten ermordet wurden. Fast so erschreckend wie ihre Ermordung fand Erlingsson, dass die Frauen von ihren Regierungen in keiner Weise geschützt, sondern im Gegenteil zu Ökoterroristen und Staatsfeinden erklärt wurden.

Ein Ringen zwischen Guerilla und Muttergefühlen

Ihnen zu Ehren schuf er ein Kinodenkmal, das dezidiert als Unterhaltungs- und Spannungsfilm funktionieren sollte, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Dabei greift Erlingsson auch tief und ungeniert in die Mythenkiste. Halla ist benannt nach Halla und Eyvindur, zwei Legenden der isländischen Geschichte, die sich als Rebellen Jahrzehnte im rauen Hochland versteckt haben. Wie die Halla des Films, die von den Medien die „Bergfrau“ genannt wird, sich patent durch die Naturlandschaft bewegt, muss man aber auch an Diana denken, die römische Göttin der Jagd, die zugleich Beschützerin der Mütter und Kinder ist. Wiederholt presst sich Halla ganz tief ins Gras, atmet dessen Duft ein, ist ganz eins mit Mutter Natur. Und verteidigt sie gegen reine Wirtschaftsinteressen. Auch für ihre Mitbürger, selbst wenn sie von denen dafür dämonisiert wird.

Halla steht für ihre Überzeugungen. Zum inneren Konflikt kommt es erst, als eine längst vergessene Adoptionsanfrage plötzlich positiv beschieden wird und die allein lebende Endvierzigerin ein traumatisiertes vierjähriges Mädchen aus der Ukraine aufnehmen darf. Dafür muss sie dorthin reisen. Noch aber droht der Abschluss des Handelsvertrags mit China. Deshalb muss Halla noch eine allerletzte Aktion starten, die größer ist als alle Sabotageakte, die sie bisher verübt hat, und für die ihr kaum noch Zeit bleibt.

Viel wird hier vermengt, Ökothriller und Komödie, Abenteuerfilm und Märchen. Und viel wird dabei verhandelt über Klimakatastrophe, Globalisierung, Terrorismus und Überwachungsstaat, sodass man sich zuweilen fragt, wie der Regisseur das alles unter einen Hut kriegen und am Ende dabei wieder herauskommen will. Doch wie seine Chorleiterin vermag auch er die vielen Stimmen mühelos zu einem großen Ganzen zusammenzuführen. Dabei ist Erlingsson immer ganz nah bei seiner Heldin, die mit großer Sympathie gezeichnet wird von Islands wunderbarer Schauspielerin Halldóra Geirharðsdóttir, die in einer Doppelrolle auch die Zwillingsschwester verkörpert. Die zweite Hauptrolle spielt die mächtige Naturkulisse Islands, die der Kameramann Berg­steinn Björgúlfsson in überwältigenden Bildern eingefangen hat.

Trotz des erdschweren Themas erzählt Erlingsson mit trockenem Humor. In seinem Universum trifft man auf kauzige Gestalten, einen knarzigen Bauern etwa, der seinen kläffenden Hund „Frau“ nennt und die unterkühlte Halla zur Rettung in heißes Geysir-Wasser taucht. Oder einen lateinamerikanischen Touristen, der ständig durchs Bild stolpert und wieder und wieder wegen der Taten verhaftet wird, die doch Halla begangen hat.

Vor allem aber stellt Erlingsson immer wieder unvermittelt drei Musiker mitten in die Landschaft, die die dramatischen Momente einerseits musikalisch verstärken und zugleich verfremden und ironisieren. Sie sind wie ein Ausrufezeichen, das einen ständig daran erinnert, dass das doch alles nur Film ist. Drei ­ukrainische Volkssängerinnen in folkloristischer Tracht, die ebenfalls immer wieder auftauchen, machen zugleich gewahr, dass der Raubbau an Mutter Natur keineswegs Fiktion ist. Und längst globale Aus­maße angenommen hat, gegen die endlich etwas getan werden muss.

„Gegen den Strom“ ISL 2018, 101 Minuten, ab 6 Jahren, Regie: Benedikt Erlingsson, Darsteller: Halldóra Geirharðsdóttir, Johann Sigurdarson, täglich im 3001, Abaton, Zeise (OmU)