Vergiss deine Träume nicht. Bewahre das Kind in dir. Mag sein, dass die Botschaft dieses Films simpel klingen mag, aber herzergreifend erzählt er das schon. Anfangs sitzt ein Mann auf einer Parkbank, er ist verzweifelt und hoffnungslos. Der Mann ist ein leitender Angestellter. Weil er sich ständig um seine Firma kümmern muss, ist darüber seine Familie zu kurz gekommen, worüber nicht nur seine Frau, sondern vor allem seine kleine Tochter leidet. Nun hat er sie sogar allein ins Wochenendhaus geschickt. Weil der Chef mit ihm einen Sparplan durchgehen will. Soll heißen: Leute kündigen. Da sitzt er also, dieser Mann, der nicht will, dass seine Kollegen ihre Arbeit verlieren. Und der doch nicht weiß, wie er das aufhalten soll. Da sitzt plötzlich ein Bär neben ihm, sein Plüschteddy aus Kindertagen, und spricht mit ihm.

Das ist der Moment, in dem „Christopher Robin“ zum Märchen wird. Denn der Mann auf der Bank, er ist – oder war doch – der Junge aus den „Pu, der Bär“-Büchern, der mit seinen Plüschtieren, dem besagten Bären, Tigger, Kängu-Ruh und ­I-Ah Abenteuer im Hundertsechzigmorgenwald erlebt hat. Jeder kennt diese Geschichten, kennt die Bücher von A. A. ­Milne mit den Zeichnungen von E. H. Shepard. Oder doch den darauf basierenden Disney-Trickfilm von 1977. In Rückblenden stapft der kleine Christopher mit den digital zum Leben erweckten Stofftieren durch den Wald, bis er sich eines Tages von ihnen verabschiedet. Weil das „echte“, das erwachsene Leben beginnt. Er verspricht seinen Gefährten, dass er sie nie vergessen werde. Natürlich tritt genau das ein. Bis Pu den erwachsenen Christopher heimsucht. Und ihm helfen will.

Vergiss deine Träume nicht. Bewahre deine Kindheit. Das ist natürlich auch ein Motto, an dem das Kino als ausgewiesene Traum-Fabrik glauben und erinnern muss. Vor allem das Disney-Imperium. Mit „Alice im Wunderland“ hat es 2010 begonnen, seine ganzen alten Trickfilmklassiker mit modernen digitalen Möglichkeiten real neu zu verfilmen. Mal begnügt man sich dabei, wie in „Alice“ oder „Das Dschungelbuch“, die Tiere und Fantasiefiguren am Computer zu verblüffend echten Lebewesen zu generieren. Mal schreibt man auch die bekannte alte Mär komplett um, wie in „Maleficent“, wo die Geschichte von Schneewittchen einmal aus der Sicht der bösen Hexe erzählt wird.

Aber noch nie ging das Mickymaus-Imperium dabei so weit wie in „Christopher Robin“. Es ist der erste Kindertrickfilmklassiker, der jetzt noch mal neu eigentlich nur für Erwachsene erzählt wird. Jene, die mit „Pu der Bär“, dem berühmtesten Bären der Welt, aufgewachsen sind, aber jetzt wie der erwachsene Christopher Robin an die Träume ihrer Kindheit erinnert werden müssen, um neue Kraft zu schöpfen. Dieser Christopher Robin (Ewan McGregor) sträubt sich erst, von Pu aufgesucht zu werden, er verfrachtet ihn dahin, wo der hingehört: ins Haus seiner Kindheit. Aber der knautschige Teddy und die anderen Stofftier-Weggefährten, sie lassen nicht locker. Sie suchen stattdessen Christophers kleine Tochter (Bronte Carmichael) auf, um über sie sein Ohr zu erreichen und sein Herz zu erwärmen. Auch wenn sie mit dem kleinen Mädchen den Hundertsechzigmorgenwald verlassen müssen und sich ganz allein auf den Weg in die riesige, unüberblickbare Stadt London machen.

Es gibt einige Déjà-vus in diesem Film. Natürlich muss man bei einem sprechenden Teddybären vor allem an „Paddington“ denken, den anderen großen Kinderbuch-Erfolg, der auch in London spielt und dem Disney nun unverhohlen Konkurrenz macht. Die Rahmenhandlung eines leitenden Angestellten, der wieder zum Kind bekehrt werden muss, das lässt aber noch an einen ganz anderen Disney-Film denken, an „Mary Poppins“, wo eine Kinderfrau nicht nur die Kinder eines Bankiers bezirzte, sondern auch den Vater bekehrte, den Beruf nicht mehr über die Familie und die eigenen Kinder zu stellen. Das merkwürdigste Déjà-vu aber ist, dass gerade erst vor drei Monaten ein ganz anderer Film über Pu der Bär und seinen menschlichen Freund ins Kino kam: „Goodbye, Christopher Robin“ erzählte die Entstehungsgeschichte des Kinderbuchs, wie A. A. Milne die Kindheit seines Sohnes zum Sehnsuchtsmärchen für eine ganze Generation machte, aber auch, wie Christopher Robin damit um seine Kindheit betrogen wurde. Eine wahre, tragische Geschichte. Der Christopher Robin dieses Films dagegen ist wieder nur eine völlig erfundene Figur, die sich nahtlos in Disneys Märchenuniversum einreiht. Die einem aber so ans Herz geht, dass man verrückterweise beide Filme, die sich so diametral gegenüberstehen, gleichermaßen lieb gewinnen kann.

Das liegt vor allem am Regisseur. Der Schweizer Marc Forster hat zwar auch schon mal einen James-Bond-Film verantwortet, den schwachen „Ein Quantum Trost“, oder den Zombie-Horror „World War Z“. Sein bislang schönster Film war „Wenn Träume fliegen lernen“ (2004) über die Entstehungsgeschichte des Kinderbuchklassikers „Peter Pan“. Auch aus „Peter Pan“ hat Disney 1953 einen Trickfilmklassiker gemacht, Forsters Film hätte prima in Disneys Reihe der Neuverfilmung und -erfindung gepasst. Damit hat er sich wärmstens empfohlen für den nun artverwandten „Christopher Robin“. Wieder weiß Forster auf herzerweichende Weise von kleinen und großen Kindern zu erzählen. Und von den Träumen, die man sich bewahren muss.

„Christopher Robin“ USA 2018, 104 Min., o. A., R: Marc Forster, D: Ewan McGregor, Hayley Atwell, Bronte Carmichael, täglich im Cinemaxx Dammtor/Harburg, Hansa, Savoy (OF), UCIs Mundsburg/ Othmarschen Park/Wandsbek; Internet: www.disney.de/filme/christopher-robin