Seine Zeichnungen liefern eine der besten Definitionen dessen, was „makabrer Humor“ ist. „Der richtige John Callahan soll aufstehen“ lautet die Überschrift für ein Selbstporträt, das den Querschnittgelähmten im Rollstuhl zeigt. Und Callahans Lebensgeschichte eignet sich auf den ersten Blick zur Steilvorlage für einen Film, der ein weiteres Mal davon erzählt, wie der menschliche Geist letztlich alle Hindernisse überwinden kann. Aber Regisseur Gus Van Sant („Good Will Hunting“) interessiert sich in seinem Biopic „Don’t Worry, weglaufen geht nicht“ über Callahan, dann doch für andere Aspekte an diesem Leben. Was seinen Film am Ende bewegender macht als jede „Ein Querschnittgelähmter findet seine Berufung als Cartoonist“-Story.

Die biografische Chronologie bricht Van Sant von Anfang an. Statt sich an das Muster vorher/Unfall/Neugeburt zu halten, schneidet der Film wild zwischen der Zeit vor und nach dem Unglück, das aus einem 21 Jahre alten Hedonisten einen selbstmitleidigen, alkoholabhängigen Rollstuhlfahrer macht.

Menschen ändern sich nicht plötzlich nach einem Schicksalsschlag, scheint der Film sagen zu wollen, dazu braucht es allmähliche Entwicklung. Es kommt zu Rückschlägen, Verzweiflungstaten, Neuanfängen. Eigenartigerweise passt es daher besonders gut, dass Joaquin Phoenix (43) auch den 20-jährigen John spielt, mit einer wie absichtlich schlecht sitzenden Perücke und ohne größere ­Make- up-Verjüngungsanstrengung.

Der Callahan der frühen 70er-Jahre, der permanent die nächste Frau und den nächsten Rausch sucht, verhält sich wie ein alter Mann: abgeklärt, desillusioniert, für jegliche Gefühle unempfindlich. Zwar sitzt er nicht selbst am Steuer des Unfallautos, da sitzt sein Sauf- und Drogenkumpan Dexter (Jack Black), aber für den Ablauf der Unglücksnacht ist er mindestens so verantwortlich wie Dexter. Das Durcheinander von Wut und Schuldgefühlen, das er von da an empfindet, wird dadurch nicht einfacher. Die Szene, in der Callahan nach langen Jahren die Konfrontation mit Dexter sucht, ist von fast überwältigender und emotionaler Wucht.

Callahans Chaos empfindet der Film in seiner ersten Hälfte nach – und zeigt es als fruchtbaren Boden für ein kreatives Talent, das sich in der Ablehnung der Lebensumstände erst richtig schärft. Seine Behinderung erschwert ihm das Zeichnen, aber aus dem groben Strich, den sein Zweihandgriff erzeugt, wird sein Markenzeichen. Ähnlich verhielt es sich mit seinem selbstverächtlichen Humor, der mit dem Label „nicht politisch korrekt“ unvollständig erfasst ist. Was das Benennen von Bigotterie und Schönrednerei nicht nur im Bezug auf Behinderte angeht, darin war Callahan fast bösartig.

Immer mehr aber verlagert der Film seinen Fokus weg vom Unfall und seinen Nachwehen in Gestalt einer Alkoholabhängigkeit. Seinen Beruf hat Callahan da bereits gefunden, in seiner Heimat Portland (Oregon) gehört er zu den anerkannten Freaks, doch sein Leben findet in einer Art selbst gewählten Gosse statt. Um wirklich zu überleben, muss er seine Sucht bekämpfen. Und landet in einer Gruppe von anonymen Alkoholikern, die sich von Donnie leiten lassen.

Dieser Donnie ist ein Wunder, für Callahan genauso wie für den Film. Mit Langhaar und Bauch ist Jonah Hill als Donnie fast nicht zu erkennen. Mit Jesus-Jünger-Attitüde scheint er daherzukommen, aber genau das bricht er mit ironischen Verweisen auf „Chuckie“, so sein Privatname für Jesus, wieder auf. Sein Reichtum – als Erbe hat er nie arbeiten müssen – erregt Neid, zugleich strahlt dieser Donnie eine überwältigende Sanftmut aus, dass selbst ein aufbegehrender Geist wie Callahan sich daran beruhigen kann. „Trink Wasser“, rät er seinen „Schäfchen“ – und man begreift es mehr als Weisheit.

„Don’t Worry, weglaufen geht nicht“ USA 2017, 115 Min., ab 12 J., R: Gus Van Sant, D: Joaquin Phoenix, Jonah Hill, Rooney Mara, täglich im Abaton (auch OmU), Blankeneser, Holi, Zeise; www.dontworry-derfilm.de