Jeden Morgen betrachtet sich der 90-jährige Lucky im Spiegel. Alt, welk, ausgemergelt inspiziert er Falte um Falte, macht Morgengymnastik in Unterwäsche, nimmt das Frühstück in einem Diner ein, vertreibt sich den Tag mit Rätseln und TV-Shows, bis er sich abends in eine Bar voller Typen schleppt, die alle nicht gar so alt, aber fast schon so eigen wie er sind. Womöglich, die Ahnung beschleicht einen beim Zuschauen dieses fast meditativen Films, hat der alte Mann nur seinen eigenen Abgang verschlafen, und der ewige Stillstand ist schon die Ewigkeit.

Aber dann fällt Lucky eines Morgens um. Der Arzt kann nichts feststellen, es ist Altersschwäche, so die Diagnose. Lucky bestreitet seinen Alltag wie zuvor, latscht weiter in Unterwäsche durchs Haus, bevor er sich, mit Mühe und Stolz, die Stiefel an- und den Hut aufzieht und sich mit gebeugtem Gang als letzter Cowboy durch die wüste Einöde seines Kaffs schleppt. Er wird weiter rauchen wie ein Schlot, selbst in der Bar, wo es nicht erlaubt ist. Aber jeder Gang könnte plötzlich der letzte sein.

„Lucky“ ist ein Film übers Alter, und das ist etwas, was man im amerikanischen Kino nicht oft zu sehen bekommt. Und es ist der große Abschied von Harry Dean Stanton, der ahnte, dass dies sein letzter Auftritt sein könnte und im September mit 91 Jahren gestorben ist. 64 Jahre lang hat er in mehr als 200 Produktionen mitgewirkt. Sein Aussehen war zu ledrig für die Heldenparts. Aber als in New Hollywood Männer mit Ecken und Kanten angesagt waren, da wurde auch er ein Star, ein Gesicht dieses New Hollywood.

Ob in Ridley Scotts „Alien“, John Carpenters „Klapperschlange“ oder Alex Cox’ „Repo Man“. Nur zweimal aber hat er eine Hauptrolle gespielt. 1984 in Wim Wenders’ „Paris, Texas“, als sein ausgebranntes Gesicht schon einmal zum Synonym amerikanischer Weite und Wüste wurde. Und nun in „Lucky“, noch so ein Wüstenfilm, in dem die Rolle und die Persona nicht mehr voneinander zu trennen sind.

Ein Film der Freundschaft: Logan Sparks, ein langjähriger Kumpel, hat das Drehbuch geschrieben, als „Liebesbrief“ an Stanton. Und der hat seinen Körper und seine Seele ohne jede Scheu entblößt. John Carroll Lynch, selbst ein Schauspieler, der mit „Fargo“ von den Coens bekannt wurde, gibt hier sein spätes Regiedebüt und lässt viele Weggefährten von Stanton auftreten, als Freaks in der Bar, wie Tom Skerritt oder David Lynch (mit dem der Regisseur nicht verwandt ist). In David Lynchs Filmen war Stanton oft dabei, auch in der Neuauflage der „Twin Peaks“-Serie. Aber sein großer Abschied, sein Solo, das ist „Lucky“. Ein Film als einziger Ab-Gang, der dabei doch auf staubtrockene Art hochkomisch ist.

Die Kamera begleitet diesen skurrilen Kauz auf seinem langen, staubigen Weg. Einige liebevolle Nachbarn tun es auch. Und dann ist da noch die Schildkröte, die David Lynch ausbüxt, worüber dieser viele Tränen verdrückt, und die Lucky zuletzt in der Wüste begegnet. Lucky und die Echse, zwei reptilienartige Wesen in einer schroffen, abweisenden Natur, die einfach nicht gehen wollen. Im Kino, das versprechen diese letzten Bilder, wird Stanton immer weiterleben.

„Lucky“ USA 2017, 87 Min., o.A., R: John Carroll Lynch, D: Harry Dean Stanton, David Lynch, Tom Skerritt, Fr, So-Mi im Abaton, tägl. im 3001, Holi, Blankeneser; alamodefilm.de/kino/detail/lucky.html