Gegen Ende dieses wunderbaren Films hält John seine Frau Ella an einem Strand der Florida Keys im Arm und fragt: „Sind wir im Himmel?“ Ella antwortet mit wehmütigem Lächeln: „Vielleicht …“. Worauf John kontert: „Denkst du, hier gibt es so was wie Burger?“ John und Ella sind fast am Ende ihrer Reise angekommen. Eine Reise, die sie von Wellesley in Massachusetts aus die amerikanische Ostküste entlang bis nach Key West führt. Ein letzter großer Roadtrip, bevor der letzte Vorgang fällt.

Der italienische Regisseur Paolo Virzi („Die süße Gier“) hat mit „Das Leuchten der Erinnerung“ seinen ersten amerikanischen Film gedreht. Es ist ein Roadmovie mit europäischem Blick auf amerikanische Lebensart. Es ist eine Geschichte, in der es nicht um das Älterwerden geht, sondern um das Altsein, das, wie wir seit Joachim Fuchsberger wissen, nichts für Feiglinge ist. Virzi zeigt zwei Menschen, die sich ihrer Vergangenheit erinnern, um Abschied nehmen zu können, die die letzten Jahre hauptsächlich mit Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten verbracht haben. Die noch einmal tief durchatmen wollen, um auch den letzten Weg gemeinsam zu gehen.

Virzi kann sich bei seiner Verfilmung von Michael Zadoorians Roman „The Leisure Seeker“ voll auf seine Hauptdarsteller verlassen. Der 82-jährige Donald ­Sutherland („Wenn die Gondeln Trauer tragen“, „Die Tribute von Panem“) und die 72-jährige Helen Mirren („Die Queen“, „R.E.D.“) spielen das Ehepaar Spencer mit viel Witz, Gefühl und Leidenschaft, wobei man immer spürt, wie Virzi sie an der ganz langen Leine hält. Er lässt ihnen viel Freiheit. Sie gehen auf in ihren Rollen. Dabei bleiben für die anderen Darsteller tatsächlich nur Nebenrollen.

Keinem haben sie etwas gesagt. Eines Morgens machen sie sich einfach auf, holen das alte Wohnmobil aus der Garage und fahren los. John hat sich fein gemacht, sitzt mit Sakko und Krawatte am Steuer. Einst war er Professor für englische Literatur, heute versagt das Gedächtnis immer öfter seinen Dienst. Er ist dement. Es wird schlimmer. Auch wenn er ganze Textpassagen von Hemingway rezitieren kann. Ella steht ihm bei, hat stets die richtigen Worte und Medikamente parat. Eine resolute Frau, die weiß, dass sie sich von ihrer Krebserkrankung nicht mehr erholen wird.

Während ihre Kinder zu Hause einem Nervenzusammenbruch nahe sind, erleben John und Ella jede Menge kleine Abenteuer auf der Straße in den Süden. Sie sitzen in ihrem Auto, das sie „The Leisure Seeker“ (etwa: der Freizeit-Sucher) getauft haben, und singen mit Janis Joplin „Me and Bobby McGee“. Nachts sehen sie sich auf Campingplätzen alte Dias an, die bei John dann doch Erinnerungen wecken. Einmal werden sie von Gaunern überfallen, die Ella resolut in die Flucht schlägt. Ein andermal fährt John einfach los und vergisst seine Frau an einer Raststätte. Ein Biker bringt die beiden wieder zusammen.

Wir erleben zwei in Würde gealterte Menschen, die trotz aller Gebrechen, Schmerzen und Inkontinenzen ihr Leben bis zum Schluss selbst in der Hand haben wollen und die nie das Wichtigste vergessen haben: ihre unerschütterliche Liebe zueinander. Es gibt komische Momente, tragische Szenen und rührende Augenblicke. Wobei sich Ella vehement dagegen wehrt, Johns fortschreitende Demenz zu akzeptieren. Sie redet resolut dagegen an. Und in lichten Momenten erkennt John seine Krankheit und spürt, dass es kein Zurück mehr gibt. Virzi erzählt das in ruhigen Bildern, völlig unspektakulär und ohne die für Roadmovies typische Sightseeing-Idylle.

„Das Leuchten der Erinnerung“ ist ein bewegender Film voller Empathie für seine beiden Figuren, die sich mutig und selbstbestimmt auf ihre letzte Reise machen, nach Key West, zum Haus von Hemingway. Ganz großes Schauspielerkino.

„Das Leuchten der Erinnerung“ IT/F 2017, 113 Min., ab 12 J., R: Paolo Virzi, D: Helen Mirren, Donald Sutherland, Christian McKay, täglich im Abaton (OmU), Blankeneser, Holi, Passage; www.dasleuchtendererinnerung.de