Das Gedankenspiel sei erlaubt, warum auch nicht: Hätte die diesjährige Jury des Deutschen Buchpreises tatsächlich zwei pralle historische Stoffe auf die Shortlist gesetzt? Oder hätte Franzobels „Das Floß der Medusa“, jene historisch belegte Geschichte um einen Schiffsuntergang und das unzivilisierte Gemetzel, das ihm vorausging und nachfolgte, Platz machen müssen? Und zwar für Daniel Kehlmanns imposanten neuen Roman „Tyll“, der ganz erstaunlich gelungen ist.

Und eben selbst keine Rolle spielte beim rituellen Spektakel um den Renommierpreis mit Wettbewerbscharakter. Genau Letzteres mag der Autor Kehlmann nicht, es ist ein sein gutes Recht. Sein „Tyll“ war gar nicht eingereicht und erschien, durchaus symbolisch, quasi direkt nach der Preisverleihung in der vergangenen Woche. Kehlmann stellt seinen tief in der Vergangenheit spielenden Roman auf Einladung der Buchhandlung Heymann heute in der Laeiszhalle (Kleiner Saal) vor. Das ist ein Pflichttermin für alle, die schnörkellos erzählte, dennoch spielerische und stilistisch elegante Prosa mögen. Kehlmann, der seit seinem Bestseller „Die Vermessung der Welt“ (2005) viel gelesene und zu Recht gepriesene Autor, erzählt in Tyll vom 30-jährigen Krieg, dessen Beginn sich passenderweise 2018 zum 400. Mal jährt. Als Mitteleuropa im Glaubens- und Machtkampf von Kriegshandlungen zerfurcht wurde, waren es Eiferer, Emporkömmlinge, Blutsäufer und von den Erwartungshaltungen ihrer Häuser getriebene traurige Gestalten, die vom Mahlstrom der Geschichte erfasst wurden.

Von diesen berichtet Kehlmann in seinem Buch. Er tut dies anspielungsreich und mit Witz; „Tyll“ ist ein stellenweise grundkomischer Roman, trotz des Grusels und der heute bizarr wirkenden Lebensumstände der Frühen Neuzeit. Außer Aberglauben gesellte sich der Gehorsam der Obrigkeit. Nur einer durfte alles aussprechen: der Narr. Es ist Till Eulenspiegel, den Kehlmann kühn in sein Kriegs-Panorama installiert, dabei hat der geschichtlich verbriefte Gaukler zwei Jahrhunderte vorher gelebt. Ihm setzt Kehlmann ein Denkmal, er taucht hier, wo Schlaglichter auf eine Zeit, in der um Macht noch unverhohlener und körperlicher als heute gerungen wurde, immer wieder auf – und ihm, dem schlagfertigen Helden der Respektlosigkeit, gehört unsere Sympathie.

Daniel Kehlmann: „Tyll“ Di 17.10., 20.00, Laeiszhalle/Kleiner Saal (U Gänsemarkt), Eingang Gorch-Wall, Tickets ab 12,- an der Abendkasse; www.elbphilharmonie.de