Der Notruf kommt in der Nacht. 250 Flüchtlinge sind vor der italienischen Insel Lampedusa in den dunklen Wellen in Seenot geraten. „Wir flehen Sie an! Helfen Sie uns!“, ist ein weinender Boots­insasse zu hören. Der Helfer an Land fragt nach der Position des Schiffes. Dann bricht der Kontakt ab.

„Seefeuer“ heißt der erschütternde und aufrüttelnde Film von Regisseur Gianfranco Rosi, der auf der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. In einer Mischung aus Dokumentation und inszeniert wirkenden Szenen erzählt Rosi vom Alltag auf Lampedusa, seit Jahren Ziel von Flüchtlingen aus afrikanischen und anderen Ländern. Rosi erzählt aus zwei Blickwinkeln: Auf See geht es um das Schicksal der Bootsflüchtlinge und die oft vergebliche Arbeit der Retter – da ist Rosi ganz nah dran am Elend der Verzweifelten und Entkräfteten und scheut sich auch nicht, sterbende Menschen zu zeigen.

An Land dreht sich alles um das künstlerisch oft stilisierte und symbolisch aufgeladene Erleben des zwölfjährigen Inselbewohners Samuele. Er macht mit seiner Steinschleuder Jagd auf Vögel, feuert mit seinem Freund imaginäre Waffen ab, isst mit seiner Familie Spaghetti, macht sich Sorgen um seine Gesundheit. Und: Der Sohn eines Fischers hat Angst vor dem Meer, ihm wird schlecht auf See.

Es sind zwei Welten, die vordergründig nicht miteinander in Berührung kommen. Doch an der Schnittschnelle dazwischen steht der bewundernswerte Inselarzt Pietro Bartolo, der sich viel Zeit für Samueles Atemprobleme und die Ängste des Jungen nimmt. Dem Arzt kommen Tränen, wenn er vom Leid der von ihm betreuten Bootsflüchtlinge erzählt. „Jeder, der von sich behauptet, ein Mensch zu sein, hat die Pflicht, diesen Leuten zu helfen“, sagt Bartolo. Ein künstlerisch eigenwilliger, sehr wichtiger, bewegender Film.

„Seefeuer“ Italien/Frankreich 2016, 108 Min., ab 12 J., R: Gianfranco Rosi, täglich im Abaton, Alabama, Holi; www.seefeuer.weltkino.de