„Überjazz“-Festival – die Präposition „über“ steht für offene Grenzen, stilistische Vielfalt und die Abwesenheit jeder Art von Purismus. Aber den „reinen Jazz“ fordern sowieso nur noch reaktionäre, sogenannte Jazz-Fans, die den Charakter dieser aus afroamerikanischen Wurzeln entstandenen und von Beginn an weltoffenen Musik nie verstanden haben. Im Übrigen haben eine ganze Reihe von aufgeklärten Musikern den Begriff Jazz ohnehin abgelehnt, weil er ihnen zu limitiert vorkam.

„Überjazz“ auf Kampnagel wird am 30. und 31. Oktober zwei Tage lang ein breit gefächertes Kaleidoskop an Musik bieten, das sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen lässt. Jazz im herkömmlichen Sinn wird auch dabei sein, aber ebenso viel sogenannte Weltmusik, Electro und jede Menge Fusionen verschiedener Stile von Musikern, die etwas Originäres kreieren. Wer mit offenen Ohren in die Kulturfabrik fährt, kann eine höchst abwechselungsreiche Reise durch Klangwelten aus verschiedenen Erdteilen unternehmen.

Zum Beispiel Afrika. Aus Nigeria stammt der Saxofonist Orlando Julius. Er gehört zu den Begründern des Afrobeat. Bereits vor 50 Jahren kam sein legendäres Album „Super Afro Soul“ heraus, mit dem der heute 72 Jahre alte Musiker berühmte Künstler wie Fela Kuti und Marvin Gaye entscheidend und nachhaltig beeinflusste. Nachdem er 30 Jahre lang in den USA gelebt hat, ist er auf seine alten Tage nach Nigeria zurückgekehrt. Beim „Überjazz“ wird er mit dem Londoner Septett The Heliocentrics musizieren, das in der Vergangenheit mit Mulatu Astatke spielte.

Der britische Trompeter Matthew Halsall gehört zu den Musikern, die mit offenen Ohren durch die Welt reisen und unterschiedliche Einflüsse in ihre Kompositionen aufnehmen. Die Musik des Saxofon-Gottes John Coltrane und seiner Frau Alice gehört genauso dazu wie der Klang einer japanischen Koto oder einer Bansuri-Flöte. Halsall wird sowohl mit seinem Quartett als auch mit seinem Gondwana Orchestra auftreten, das von vier Streichern des Hamburger Ensemble Resonanz verstärkt wird.

Aus der Wiege des Jazz in New Orleans stammt der Trompeter Christian Scott. Er zählt zu den interessantesten jungen Jazzmusikern, da er Brückenschläge in andere Genres versucht und sich politisch engagiert. Hardbop ist Basis seines Spiels, Miles Davis sein Vorbild. Seine Musik speist sich auch aus der Wut und dem Gefühl, als Schwarzer ein Amerikaner zweiter Klasse zu sein.

Der bekannteste Name bei diesem „Überjazz“-Festival dürfte der von Matthew Herbert sein. Auch der Brite ist ein durch und durch politischer Künstler, er kommt von der elektronischen Seite. Nach Hamburg reist er mit einem Ensemble, zu dem auch zwei Vokalisten gehören. Auf seinem aktuellen Album „The Shakes“ liefert er eine moderne Variante von House Music, auch die ist in den USA kreiert worden – von schwarzen DJs und Produzenten wie Frankie Knuckles und Marshall Jefferson.

Die vorgestellten Künstler sind nur vier Beispiele für ein erstklassiges und spannendes Programm. 22 Bands werden insgesamt beim „Überjazz“ auftreten. Ohren aufgesperrt bei Dam Funk, Jarrod Lawson, Shining, Hiatus Kaiyote, Sven Kacirek & Shabaka Hutchings, Sons Of Kemet und alles über Jazz.

Überjazz Fr/Sa 30./31.10., jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20,
Karten ab 39,90 (Tagesticket) bis 68,90 (2-Tagestickets) Euro im Vorverkauf