Es gibt schon merkwürdige Zufälle. Vor einer Woche startete der deutsche Film „About a Girl“, über ein 16-jähriges Mädchen, das versucht, sich umzubringen und zum Leben zurückgeführt werden muss. Nun folgt „Coconut Hero“ mit demselben Plot. Nur ist es diesmal ein 16-jähriger Junge. Es ist ein einziges Déjà-vu-Erlebnis: Beide, das Mädel wie der Knabe, haben geschiedene Eltern, deren Vater, der sie verlassen hat, voller Schuldgefühle zurückkehrt. Beiden begegnet plötzlich die erste Liebe. Dabei darf der skurrile Therapeut darf ebenso wenig fehlen wie der dürre Bestatter.

Und doch könnten die Filme unterschiedlicher nicht sein. „About a Girl“ krankt an dem typischen Syndrom vieler deutscher Filme: Mark Monheims Regiedebüt will eine Tragikomödie sein, ist aber in allem zu nett, zu brav, zu erwart- und vorhersehbar. Heike Makatsch agiert als Mutti ganz verständnisvoll, Jasna Fritzi Bauer variiert zum x-ten Male ihre Rolle als Teenie, für die sie längst zu alt ist. Und natürlich ist am Ende alles Friede, Freude, heititei.

Nicht so bei „Coconut Hero“. Nach seinem makabren Versuch, sich zu erschießen, wird der Junge noch im Krankenhaus von der Mutter ausgeschimpft – und trotz Kopfverbands sofort wieder in die Schule gefahren. Während der Suizidversuch bei „About a Girl“ nur halbherzig war, um die Handlung in Gang zu bringen, meint es der Junge ernst. Er wendet sich dafür sogar der Kirche zu und betet um einen baldigen Tod. Bis der Arzt, der seinen Kopf auf bleibende Schäden untersucht, einen Hirntumor findet: Die Gebete wurden erhört.

Im Vergleich erscheint „About a Girl“ höchstens nieselgrau, während „Coconut Hero“ wirklich rabenschwarz ist. Klar, kann man sagen, der eine ist ja auch ein deutscher Film, der andere spielt in Kanada. Die Amerikaner können so was einfach besser. Aber, das ist die gute Nachricht: Man muss sich hier mal gar nicht in diesem teutonischen Minderwertigkeitsgefühl suhlen. Auch „Coconut Hero“ ist ein deutscher Film, geschrieben von Elena von Saucken, inszeniert von Florian Cossen. Ihren ersten Film „Das Lied in mir“ hatte das Filmemacherpaar in Südamerika gedreht, den zweiten nun in Nordamerika.

Weil die unheimlichen Weiten Kanadas die Depression, die Verlorenheit der Hauptfigur unterstreichen und zugleich kontrastiert: Der Junge, der Mike Tyson heißt wie der Boxer, was ihm schon genug Spott einbringt, lebt in einem kleinen, sterbenden Städtchen, das auf Hunderte von Kilometern von Wald umgeben ist. Hier gibt es keine Zukunft, keine Perspektive, kein Entkommen. Außer dem Gewehr, das Einzige, was vom Vater geblieben ist.

Wo man bei „About a Girl“ immer schon weiß, was als Übernächstes passiert, geben Cossen und von Saucken ihrer Story immer neue, überraschende Wendungen, die alle Erwartungen brechen. Der Junge bastelt sich einen eigenen Sarg. Und fragt die Leiterin seiner „lebensbejahenden Bewegungstherapie“, ob sie ihm nicht das Holz nach Hause fahren könnte. So lernt er erstmals ein Mädchen kennen, das prompt ein Reh überfährt. Und schon sind wir mittendrin in einer ganz unpädagogischen, ganz federleichten Auseinandersetzung um das Leben und das Sterben.

Die fremden Landschaften Kanadas, die hierzulande völlig unbekannten Schauspieler, der großartige Alex Ozerov, die herrlich kantige Krista Bridges als Mutter (zu denen sich immerhin noch Sebastian Schipper als Vater und Udo Kier als Therapeut gesellen), vor allem aber die Lakonie der englischen Sprache – das alles macht diesen Film so erstaunlich undeutsch. Hier wird nicht alles plattgewalzt, sondern immer nur angedeutet, nichts ausdiskutiert, sondern in schönen, packenden Bildern erzählt. Und nichts läuft plan auf ein Happy End zu, am Ende geht der Film sogar noch einmal in eine ganz andere Richtung.

Vielleicht ist es also gar kein Pech, dass „Coconut Hero“ so kurz nach ­„About a Girl“ startet. Weil man so genau studieren kann, wie es anders, wie es besser geht. Mit „Das Lied in mir“ haben sich von Saucken und Cossen im großen Drama bewährt, mit „Coconut Hero“ zeigen sie, dass sie auch Komödie können. Vielleicht muss man ganz weit weg vom deutschen Film mit seinen Fördertöpfen und Reinredereien, um ganz bei sich selbst zu sein

Coconut Hero D/CDN 2015, 97 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Florian Cossen, Darsteller: Alex Ozerov, Sebastian Schipper, Udo Kier, täglich im Abaton, Holi und Studio-Kino