Knapp vier Jahre liegen zwischen Graziella Shazads erstem Album „Feel Who I Am“ und dem im Februar erschienenen Nachfolger „India“. Eigentlich keine lange Zeit, nicht einmal im schnelllebigen Musikgeschäft. Und doch liegen Welten zwischen diesen beiden Platten. Geografisch, musikalisch und persönlich. War das Debüt noch ein zarter Folk-Pop-Traum einer talentierten Sängerin, Pianistin und Violinistin, so ist „India“ ein vielseitigeres und souveräneres Werk einer Frau, die weiß, dass es wichtigeres im Leben gibt als die Musik. Erfahrungen, Reisen, Gedanken, Festhalten und Loslassen. Mutter werden.

Die 1983 in Berlin geborene und in Hamburg lebende Tochter eines Afghanen und einer Polin war schon immer eine Dichterin und Verdichterin von Erlebnissen und Eindrücken, und auf „India“ setzt Shazad es konsequent um. Der Song „You’re Bad“ zum Beispiel schlägt einen bemerkenswerten Bogen von amerikanischem Country zu skandinavischem Songwriter-Pop Marke Lykke Li, unterlegt mit Trip-Hop-Beats. Auch „Don’t Ask Me Twice“ verknüpft Digital mit Analog, Electro und 80er-Synthie-Pop, der Sound von „India“ ist filigran aufgeschichtet, ohne überladen zu wirken. Mit „How Many People“, „Vie La Change“ und „India“ baut die ehemalige Flugbegleiterin Brücken zur Weltmusik, die Piano- und Gitarrenballade „Als Long As We Feel“ hingegen eine Brücke zu ihrem ersten Album. Die Ambitionen, die Hörerschaft zu erweitern, werden nicht versteckt, sondern in den Vordergrund gestellt. Kein Lied gleicht dem anderen, auch lyrisch rücken mal persönliche Gefühle in den Fokus, mal globale Betrachtungen über Flüchtlingsproblematik und andere Probleme des Zusammenlebens. Das klingt nun vielleicht nach Überladung, aber erst kürzlich zeigte Graziella Shazad bei einem NDR-Showcase, dass ihre neuen Lieder auch akustisch reduziert im ­Duett mit Gitarre und Geige ihre Wirkung entfalten.

Wenn Shazad an diesem Dienstag mit „India“ den Nochtspeicher auf dem Kiez besucht, lohnt sich pünktliches Erscheinen. Denn auch das Schwesternduo Joco soll mit dem im Juni kommenden Album „Horizon“ ein starkes Stück in Vorbereitung haben. Vielleicht gibt es schon Hörproben.

Graziella Shazad & Joco Di 12.5., 20 Uhr, Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße 69a (Anreise hier), Eintritt 25,-