Willkommen im Frankreich, das jetzt gerade untergeht. In dem köstlichen Film „Nur eine Stunde Ruhe“ verabschiedet es sich ohne jedes Pathos. In besten Boulevard-Manier. Das ganze Arsenal der Typen und Gemeinplätze der französischen Theatertradition wird aufgeboten, um in einem letzten Leuchtfeuer vorzuführen, was eine von Frankreichs größten Stärken ist (oder war): die rasante Pannenserie, die einem Menschenfeind (und Musikliebhaber) zusetzt. Denn so einer ist die Hauptfigur Michel.

Im Grunde geht es in dem Film – wie auch in dem gleichnamigen Bühnenhit – nur darum, dass dieser Michel endlich ungestört die tolle Jazzplatte „Me, Myself and I“ (reicht ja auch als Gesellschaft!) hören will, die er soeben bei einem Streifzug über den Flohmarkt entdeckt hat. Michel ist ein Genießer. Gut situiert, Geliebte inklusive. Die vernachlässigte Gattin (herrlich verpeilt: Carole Bouquet) pflegt einstweilen ihre Depression. Der verbummelte Sohn (schön struppig: Sébastien Castro) widmet sich unter Aufsagen von Politphrasen dem Kampf gegen die Globalisierung. Und dann ist Michel auch noch umgeben von Mitbewohnern, die wollen, dass man eine „Hausgemeinschaft“ wird. Wie überflüssig! Nicht überflüssig hingegen ist das Personal.

Ja, auf das Personal verwendet der Regisseur Patrice Leconte besondere Sorgfalt. Da ist die aus Almodovar-Filmen bekannte Rossy de Palma, die hier als ungepflegte spanische Putzfrau brilliert, die lieber lautstark ihren Rotz hochzieht, als sich mal zu schnäuzen. Klar, dass man ihr Französisch kaum versteht. Die Concierge hat ebenfalls einen massiven Akzent. Und der Handwerker, der schließlich mit seinem Pfusch die ganze schöne große Wohnung qua Rohrbruch unter Wasser und Fäkalien setzt, führt sich zwar als Pole ein, ist dann aber doch nur Portugiese – der Hausherr fragt sich, wie tief er noch sinken soll.

Er wird es bald wissen, denn als er sich in den Seitenflügel seines herrschaftlichen Hauses aus der Zeit des ­Baron Haussmann begibt, muss er bemerken, dass sein Sohn in einer „chambre de bonne“ (Dienstmädchenkammer) eine asiatische Großfamilie untergebracht hat. Die tunkt zu autochthoner Musik in dem Fünf-Quadratmeter-Zimmerchen unablässig Stäbchen in kleine Schalen, um sich Nahrung zuzuführen. Schweigend, wie sich versteht. „Aber hier ist ja die Dritte Welt gelandet“, entfährt es dem entgeisterten Hausherrn. Im Umgang mit all diesen Vertretern von zivilisatorisch deutlich unterhalb des französischen Standards stehenden Naturvölkern ist er trotzdem die Liebenswürdigkeit selbst. Er reicht den Bedürftigen huldvoll Taschentücher und hat für alle ein nettes, aufmunterndes Wort, das natürlich nicht im Entferntesten ernst gemeint ist.

Ach ja, das alles war einmal typisch für die Wohlhabenden von Paris. Die klare Trennung zwischen Bel Etage und Dienstbotentrakt. Oben und unten. Connaisseuren und Leuten, die auf „Nachbarschaftspartys“ stehen. War doch so schön, einem gut bezahlten Beruf und nach der Rente mit 60 seinen kostspieligen Liebhabereien nachzugehen. Und wenn um einen herum die Eingeborenen aus der Dritten Welt kein Brot hatten, empfahl man ihnen eben leutselig, doch stattdessen eine Zeit lang Kuchen zu essen. Das Rezept hatte sich ja schon unter Marie Antoinette bewährt.

Christian Clavier, den wir seit dem sensationellen Erfolgsfilm „Monsieur Claude und seine Töchter“ auch in Deutschland kennen, spielt die Rolle des klassischen französischen Bourgeois Michel mit einer Hingabe und Überzeugungskraft, dass man wieder an die Überlebensfähigkeit seiner Schicht glauben möchte, die inzwischen aber nicht nur durch die ausgegrenzten Muslime aus den Vorstädten, sondern auch durch überfällige politische Reformen bedroht ist. Dass den Michels das Wasser inzwischen bis zum Halse steht, deutet Regisseur Patrice Leconte durch den oben erwähnten Wasserrohrbruch an. Trotzdem gibt es dann ein Happy End, sogar mit einem gutmenschlich gewandelten Michel. Das fordert die Gattungstradition. Doch der Zuschauer, der sich 79 Minuten lang herrlich amüsiert hat, wünscht sich heimlich, dass die Michels in Frankreich ihr wenig vorbildliches Leben gegen die Zeit noch recht lange weiterführen mögen.

„Nur eine Stunde Ruhe“ F 2014, 79 Min., ab 6 J., R: Patrice Leconte, D: Christian Clavier, Carole Bouquet, Valérie Bonneton, täglich im Blankeneser, Holi, Koralle, Passage