Tomas steckt fest. Der Schriftsteller kommt mit seinem Buch nicht voran und hat Streit mit seiner Freundin Sara. Sie will ein Kind, er eigentlich nicht. Gedankenverloren fährt er durch die Winterlandschaft Québecs, als eine Umleitung ihm den Weg weist. Es dämmert und die Sicht ist schlecht, das Telefon klingelt, aus dem Autoradio kommt Musik. Plötzlich saust ein Schlitten auf die Straße – Vollbremsung, Aufprall – doch Tomas hat Glück. Der kleine Junge, den er direkt vor der Stoßstange findet, wirkt zwar verstört aber unverletzt. Erleichtert liefert er ihn an der elterlichen Haustüre ab. Die Mutter öffnet und schaut den Sohn mit wachsender Sorge an. Sie läuft bereits Richtung Straße, als man sie „Wo ist dein Bruder?“ rufen hört.

Man muss lange überlegen, um sich an einen Film zu erinnern, in dem ein tödlicher Autounfall je so effektiv und furchtbar inszeniert wurde. Würde es dafür einen Preis geben, Wim Wenders hätte ihn verdient. Der Unfall setzt den Ton für seinen großartigen neuen Spielfilm „Every Thing Will Be Fine“, auch wenn danach im Grunde nicht mehr viel passiert. Über den Zeitraum von zwölf Jahren sieht man die Betroffenen mit dem Unglück umgehen, Reden, Schweigen, Alkohol, Trennungen, Liebe, Erfolg oder auch nicht – was im Leben eben so passiert. Der Spielfilm ist Wenders’ erster, seit er vor sieben Jahren mit „Palermo Shooting“ einen Totalausfall ablieferte. Und sieht man von seinen Dokumentarfilmen ab, hatte er bereits seit „Himmel über Berlin“ nicht immer den besten Lauf.

Mit „Pina“ entdeckte Wenders vor vier Jahren allerdings die 3-D-Technik für sich, seither ist er derart davon begeistert, dass sie auch in „Every Thing Will Be Fine“ zum Einsatz kommt. Natürlich bietet der Film nichts von dem, was man gemeinhin mit einem 3-D-Film verbindet, keine Außerirdischen, keine Action, keine Spezialeffekte, keine Animation. Weder ragen Gegenstände dekorativ aus der Leinwand heraus, noch schnellen sie mit großem Hallo auf die Zuschauer zu. Gleich zu Beginn sieht man ein paar Schneeflocken zum Greifen nah durch die Luft trudeln, aber das war es denn auch schon.

Schnell ist an dem Werk sowieso nichts, das fast schon in provozierend gemächlichem Tempo voranschreitet und die Folgen eines Unglücks unter die Lupe nimmt. Man könnte meinen, dass so ein Film gar keine 3-D-Technik braucht. Von wegen! Denn Wenders hat sich für die Technik ein neues Aufgabenfeld ausgedacht: Es geht nicht mehr um die Anordnung von Objekten im Raum, um deren Außenwirkung zu potenzieren, sondern um die Anordnung Figuren zueinander, um einen Blick in deren Innenwelt zuzulassen.

Die Figuren sind James Franco als Tomas, Charlotte Gainsbourg als die Mutter des toten Jungen, Rachel ­McAdams als die spätere Ex-Freundin Sara und Maire-Josée Croze als Tomas’ zukünftige Frau Ann. Wie Wenders sie zueinander anordnet ist ein gekonntes Spiel mit Nähe und Distanz.

Wunderbar auch der Score von Alexandre Desplat, der mühelos den Eindruck vermittelt, als würde jeden Moment etwas Schreckliches passieren, wie gleich zu Beginn des Films, als man wie Tomas noch unaufmerksam war und der Junge unters Auto rutschte.

„Every Thing Will Be Fine“ D/CAN/F/S/N 2015, 118 Min., ab 6 J., R. Wim Wenders, täglich im Abaton (OmU), Passage, UCI Mundsburg