Hamburg. Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt in der Ausstellung „Fast Fashion“ die dunklen Seiten der Textilindustrie.

Es gab eine Zeit, da hatte man als einfacher Mensch in Europa ein Kleid oder einen Anzug für den Alltag, vielleicht zwei frische Kragen, und ein gutes Stück für sonntags. Ein Schneider nähte sie aus festem, strapazierfähigem Stoff, doppelt am besten, das hielt länger. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg nähten unsere Mütter aus einem alten Mantel einen neuen, aus zwei kaputten Kleidern ein kreatives neues, aus günstiger Regenschirmseide das ersehnte Tanzschul-Ballkleid. Davon sind wir heute Lichtjahre entfernt

Das ist einerseits schön, weil wir uns mit vielen Kleidungsstücken täglich neu verwandeln und mit Silhouetten, Images und Stimmungen spielen können. Andererseits treibt genau dieses Verhalten in fernen Ländern schaurige Blüten. „Fast Fashion“ heißt eine neue, überaus wichtige und engagierte Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe, mit der die Direktorin Sabine Schulze ihren Kurs politisch-aufklärerischer Ausstellungsakzente fortsetzt. Unterstützt wurde sie unter anderem von der Karin Stilke Stiftung.

Zwar wird man hier massenhaft mit Zahlen bombardiert, doch sind diese vom Ausstellungsarchitekten Jesko Fezer gestalterisch und medial, von den Kuratorinnen inhaltlich so gut und gewinnbringend aufbereitet, dass durch den Besuch ein tiefgreifender Bewusstseins-Wandel einsetzen kann für all jene, die sich immer neuen Shopping-Glücksmomenten hingeben, ohne über den wahren Eigenbedarf und alles andere nachzudenken.

Im 19. Jahrhundert waren große, aufwendig bestickte Kleider, Handschuhe, Hüte noch das Privileg des Adels, der Reichen oder der Pariser Halbwelt, und die Handwerkskünste in den europäischen Königsmetropolen waren überall auf das Höchste entwickelt: Es gab Stickerinnen, geschickteste Weißnäherinnen, Knopf-Schöpfer, Spitzenklöpplerinnen, Schleifen- und Bänderspezialisten. Kurz: Es gab die Kultur der Mode. Noch heute arbeiten die Modeschöpfer der Pariser Haute Couture eng mit traditionellen Kunsthandwerkern zusammen und stehen sogar unter dem Schutz des französischen Staates. Der Modedesigner Christian Lacroix sagt: „Bei den Haute Couture-Kleidern bin ich manchmal schockiert über die Preise. Aber ich beruhige mich damit, dass sie die großen alten Handwerkskünste, die Handwerker, am Leben erhalten.“ In gewisser Weise wollen die Ausstellungsmacher an solche Gedanken wieder anknüpfen, wenn auch auf erreichbarem Niveau. Sie wollen ein Umdenken anzetteln und aufrütteln. Den Anfang der Schau macht deshalb ein Film, für den man sich besser hinsetzen sollte. Bilder makelloser Schönheiten, die Pelze, Wolle, Plastikkreationen auf dem Leib tragen, werden hier konterkariert mit katastrophal verdreckten Flüssen, leidenden Textilarbeiterinnen und bei lebendigem Leib von Fabrikarbeitern totgeschlagenen Schafen. Für jeden empfindsamen Menschen ist das ein Schlag in die Magengrube, aber angesichts der erdrückenden Fakten ist das wohl unvermeidbar.

Konsum ist heute eine Frage der Verantwortung

Was durch Medien meist nur punktuell aufgegriffen wird, erscheint hier im Ganzen als weltweiter Zustandsbericht der Branche, über die man in der Ausstellung zuverlässig recherchierte Zahlen bekommt, Zahlen mit Schockwirkung. Wer weiß schon, dass die Mode- und Textilindustrie ein Drittel aller Arbeitsplätze weltweit stellt, dass rund 20.000 Chemikalien auf diesem Sektor eingesetzt werden, mehrere Millionen Menschen jährlich daran sterben und dieser Industriezweig zu denen gehört, die weltweit die höchste Luft- und Wasserverschmutzung verursacht? Und vielleicht ahnt der eine oder andere, dass sich der Konsum von Textilien von 2000 bis 2010 um 47 Prozent gesteigert hat?

Wer wirklich wissen will, was er am Leib trägt, der kann es in dieser bewusst markenfrei gehaltenen Ausstellung erfahren. „Uns ist es wichtig, die Menschen emotional zu erreichen“, sagt Direktorin Sabine Schulze. „Als Konsumenten können wir nämlich sehr wohl etwas verändern!“ Und Kuratorin Claudia Banz ergänzt: „Konsum ist heute zu einer Frage der Verantwortung geworden.“

Sogar in europäischen Ländern wie Mazedonien oder der Slowakei liegt der Mindestlohn im Textilsektor bei lediglich 14 bzw. 21 Prozent des Existenzminimums. Deshalb springt einen das Fotoprojekt von Susanne A. Friedel auch so an: oben ein Zitat einer leidenden Textilarbeiterin, darunter ein Foto einer Frau in einem schicken Kleidungsstück, daneben der Preis: Bluse 0,15 Euro.

In einem zweiten Raum, im „Slow Fashion Labor“, werden dann, zwar ungleich bescheidener, aber nicht weniger überzeugend, interessante Alternativen aufgezeigt: Leder aus Lachshaut, die sonst weggeworfen wird, oder aus Olivenblättern, die sowieso von den Bäumen fallen. Hier geht es außerdem um teurere, aber nachhaltige Mode, um ethisch verlässliche Siegel, die den respektvollen Umgang mit Mensch, Tier und Umwelt garantieren. Weniger ist eben mehr.

Fast Fashion So 22 3., 10 bis 18 Uhr,t Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Eintritt 10, ermäßigt 7 Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zahlen keinen Eintritt; die Ausstellung ist bis zum 20. September, dienstags bis sonntag von 10 bis 18 Uhr und donnerstags bis 21 Uhr zu sehen