Die Farbfelder in Rot, Gelb und Blau gehören zu den Ikonen der modernen Kunst. Sie haben dafür gesorgt, dass der Niederländer Piet Mondrian bis heute zu den bekanntesten und einflussreichsten Künstlern des 20. Jahrhunderts gezählt wird. Mondrian steht für die Abstraktion in der Kunst und damit für eine radikale Abkehr von einer jahrhundertelangen Tradition. Da seine ausschließlich aus Primärfarben und schwarzen Rastern auf weißem Grund komponierten Bilder so radikal und so umwälzend erscheinen, gilt Mondrian im allgemeinen Bewusstsein auch selbst als Revolutionär.

Doch mit dieser Vorstellung räumt die Ausstellung „Mondrian. Farbe“, die das Bucerius Kunst Forum zeigt, ziemlich gründlich auf, denn die Schau zeichnet den künstlerischen Weg des Niederländers nicht als plötzlichen revolutionären Schritt zur farblichen Reduktion und Abstraktion der Form nach, sondern vielmehr als einen langen, oft vorsichtig tastenden evolutionären Prozess, in dem sich Mondrian von zahlreichen Positionen seiner Zeit anregen ließ. Und so findet man im unteren Oktogon des Bucerius Kunst Forum, in dem Mondrians künstlerischer Weg chronologisch dargestellt wird, zahlreiche Werke, die ganz unterschiedliche Einflüsse erkennen lassen. Sie zeigen, wie intensiv sich Mondrian sowohl mit den künstlerischen Traditionen, als auch mit den Strömungen seiner Zeit auseinandergesetzt hat. Am Anfang stehen Landschaften, auf denen Bäume, Gehöfte, die sich auf stillen Wasserflächen spiegeln, oder auch Scheunen in erdigen, dunklen Tönen dargestellt sind. Es sind nicht die großen Landschaftskompostionen, sondern kleine Formate, die wohl vielfach noch in freier Natur entstanden sind, und einerseits in der Tradition der niederländischen Malerei stehen, andererseits aber bereits ein Interesse an Strukturen erkennen lassen. So wirken die Scheunentore eines erdigen, 1904 entstandenen Gehöfts in Brabant bereits wie geometrische Konstruktionen.

Ein völlig neues Interesse an der Farbe setzt etwa 1908 ein, als Mondrian sich mit Goethes Farbenlehre auseinandersetzt und „Farbe als getrübtes Licht“ erkennt. Das strahlende Licht der Sonne und das Leuchten eines nächtlichen Mondes prägt nun seine Bilder, die keine vom Licht beschienenen Landschaften zeigen, sondern eher das Gegenlicht, die Dämmerung, den Moment, in dem sich die Augen auf die beginnende Dunkelheit einstellen. Umständliche Bildtitel wie „Die Mühle von Oostzijdse mit weitem blauen, gelben und purpurfarbenem Himmel“ (1907/08) oder „Flusslandschaft mit Baumreihen links, Himmel mit rosa und gelbgrünen Bändern: Gehöft am Gein, verdeckt von hohen Bäumen“ (1907/08) beschreiben nicht nur die jeweiligen Motive detailliert, sondern machen zugleich die wachsende Relevanz der Farben deutlich, die mehr und mehr symbolisch aufgeladen werden. Behutsam, aber konsequent beginnt sich Mondrian in dieser Zeit vom Realismus seiner Landschaften zu verabschieden.

„Das erste, was ich in meiner Malerei ändern musste, war die Farbe. Ich gab die natürliche Farbe auf zugunsten einer reinen Farbe“, schrieb Mondrian, der 1909 in Amsterdam der Theosophischen Gesellschaft beitrat. Nach Goethe sind Rot und Blau die beiden reinen Farben, die auch für Licht und Dunkelheit stehen. Viele Bilder des Malers, die nach 1908 entstanden sind, werden von Rot und Blau dominiert, zum Beispiel das Porträt eines Mädchens, das er in rotem Kleid vor blauem Hintergrund mit einem Gesicht zeigt, das mit Gelbtönen akzentuiert ist.

Folgenreich für seine künstlerische Entwicklung wird ein Sommeraufenthalt auf der Halbinsel Walcheren in der niederländischen Provinz Zeeland, wo er dem Malerkollegen Jan Toorop begegnet. Toorop war der erste Niederländer, der den von Georges Seurat und Paul Signac entwickelten Pontillismus aufgreift und mit dem Luminismus eine niederländische Variante entwickelt. Mit Kompositionen, die nicht aus Flächen oder Linien, sondern ausschließlich aus getupften farbigen Punkten bestehen, sollten im Augen des Betrachters leuchtende Farbflächen entstehen. Mondrian malt nun oft in Pastelltönen gehaltene gotische Kirchen mit hoch aufragenden Türmen, die mitunter den Bildern der französischen Pointillisten stark ähneln.

Erst als Piet Mondrian 1912 in Paris mit dem Kubismus konfrontiert wird, kommt es zu jener konsequenten Abkehr von der Gegenständlichkeit und der Reduktion auf die Primärfarben, die seine Kunst so unverwechselbar macht. Anders als die meisten Kubisten verzichtet Mondrian auf Volumen und jede Räumlichkeit. Statt dessen entwirft er jene schwarzen Gitter auf weißem Grund, deren Flächen er mit Primärfarben ausfüllt und für die er den Stilbegriff Neoplastizismus prägt.

„Diese Bilder wirken zwar kühl kalkuliert, aber Mondrian war kein Konstruktivist und anders als viele Avantgardisten in jener Zeit auch nicht von Technik begeistert. Die Abstraktion war für ihn das Überwinden des Materiellen und das Vordringen in eine ideelle Dimension“, sagt Kuratorin Ortrud Westheider. Im oberen Oktogon schließlich werden die berühmten Farbfeldbilder gezeigt: die „Komposition II“ von 1920, die „Komposition mit Rot, Blau, Gelb und Grau“ von 1921, die 1937 entstandene „Komposition mit Linien und Farbe: III“, in der auf einem schwarz-weißen Gitter ein einziges blaues Rechteck eine ungemein intensive Wirkung entfaltet, oder auch die „Rautenkomposition mit vier gelben Linien“ von 1933.

Insgesamt sind 51 Gemälde zu sehen, die unter anderem aus dem Gemeentemuseum Den Haag, der Londoner Tate Gallery, dem Denver Art Museum, der Sammlung Würth in Künzelsau sowie aus weiteren Museen und zahlreichen Privatsammlungen stammen. Im Anschluss wird die Ausstellung ab Ende Mai im Turner Contemporary im britischen Margate gezeigt.

Führung: Mondiran. Farbe Mo 3.2., 13 Uhr, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Eintritt 8, ermäßigt 5 Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt; die Ausstellung ist täglich von 11 bis 19 Uhr, am Donnerstag bis 21 Uhr geöffnet