In Hamburg ist kein Ort mehr sicher, denn fast überall lauern große Gefahren für die kleine Maus. Dass die vielen anderen Nager, mit denen sie bisher Umgang pflegte, buchstäblich über Nacht aus der Stadt verschwunden sind, liegt an der Erfindung der Mausefalle, über die Hamburgs Zeitungen 1912 ganz groß und ziemlich reißerisch berichten.

„Lindbergh“ heißt die zauberhafte Bildergeschichte, mit der der Hamburger Zeichner Torben Kuhlmann sein Studium der Buchillustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Sommer 2012 abgeschlossen hat. Jetzt sind die Abenteuer einer Hamburger Maus kurz vor Beginn des 1. Weltkriegs im Zürcher Nord-Süd-Verlag endlich als Buch erschienen (96 Seiten, 18 Euro). Und wer nicht nur im Buch blättern, sondern die ebenso fantastischen wie detailreichen Illustrationen im Original betrachten möchte, kann sie sich jetzt in einer Ausstellung ansehen, die das Kinderbuchhaus im Altonaer Museum anlässlich der Buchpremiere zeigt.

Was macht die Maus, wenn es eng wird? Wenn sie von Mausefallen buchstäblich umstellt ist? Sie plant die Flucht aus Hamburg, will ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wohin die übrigen Hamburger Mäuse offenbart schon emigriert sind. Doch die kleine Maus kommt zu spät, denn die dampfenden Überseeriesen im Hafen werden von gnadenlosen Katzen rund um die Uhr bewacht. Die rettende Idee kommt der kleinen Maus, als sie mutlos durch das Labyrinth von Tunneln und Gewölben der Hamburger Kanalisation schleicht und dabei Mäuse entdeckt, die fliegen können: Fledermäuse. Fliegen müsste man können, sagt sich die kleine Maus und macht sich daran, eine Flugmaschine zu konstruieren.

Da sie technisch begabt ist und sich das nötige Know-how in Hamburger Bibliotheken anlesen kann, ist der Flugapparat schon bald fertig. Nur leider erweist er sich bei der ersten Erprobung in der großen Halle des Hauptbahnhofs als unausgereift. Auch mit einem verbesserten, nun schon dampfbetriebenen Flugapparat legt die kleine Maus eine Bruchlandung hin, erregt aber so viel Aufsehen, dass die „Hamburger Stadtzeitung“ titelt: „Sensation! Tollkühne Maus mit Flugapparat“. Zu allem Überfluss lauern in den Lüften auch noch Eulen, die sich als grimmige Verfolger erweisen. Erst mit einer dritte Flugzeugversion gelingt der kleinen Maus schließlich die Flucht aus Hamburg. An einem nebligen Regentag, an dem es auch den meisten Eulen zu nass ist, schleicht sie sich mit ihrem Flugzeug auf den Turm des Michel, nutzt ihn als Startrampe und erhebt sich hoch in die Lüfte mit Kurs auf Amerika.

Torben Kuhlmanns Bilderwelt versetzt uns in das Hamburg des frühen 20. Jahrhunderts zurück. Seine träumerischen und geheimnisvollen Aquarelle nehmen unsere Fantasie mit auf die Reise in eine einerseits vertraute, zugleich aber auch fantastische Vergangenheit. Dabei hat sich der Zeichner recht genau an der städtebaulichen Situation des frühen 20. Jahrhunderts orientiert, so erkennt man nicht nur den Michel, der übrigens 1912 nach dem Brand gerade wieder aufgebaut war, mühelos wieder, sondern auch den Hauptbahnhof, die schwedische Seemannskirche und natürlich den Hafen.

Aus der Perspektive der kleinen Maus wirken auch alltägliche Dinge bedrohlich, Katzen sind ebenso gefährliche Raubtiere wie Eulen. Dabei ergänzen sich Bilder und knappe Texte auf wunderbare Weise. Schon nach den ersten Seiten nimmt uns diese Flucht- und Überlebensgeschichte gefangen, voller Sympathie verfolgen wir, wie die mutige kleine Maus jedes Ungemach überwindet und mit Energie und Einfallsreichtum alle Hindernisse aus dem Weg räumt, bis sie schließlich abhebt und tatsächlich nach New York fliegt, wo sie von einer begeisterten Mäusemenge begrüßt und gefeiert wird.

Und was hat das alles mit Charles Lindbergh zu tun, jenem amerikanischen Flugpionier, der 1927 mit seiner „Spirit of St. Louis“ als erster Pilot den Atlantik ohne Zwischenlandung überquert hat? Wer das erfahren will, muss dann doch die ganze Geschichte der namenlosen kleinen Maus lesen und betrachten, mit der Torben Kuhlmann so ganz nebenbei auch den realen Helden der frühen Luftfahrt ein wunderbares Denkmal gesetzt hat. (M.G.)

Torben Kuhlmann: Lindbergh – Die abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus Vernissage Do 23.1., 19 Uhr, Kinderbuchhaus im Altonaer Museum, Museumstraße 23, Eintritt 6 Euro, Kinder und Jugendliche bis 17 Jahren zahlen keinen Eintritt, Anmeldung unter info@kinderbuchhaus.de; die Ausstellung ist bis zum 23. März, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr zu sehen