Blinde, so sagt der Volksmund, sehen besser mit der Seele. Solchen Besänftigungen des schlechten Gewissens derer, die es sowieso besser haben, setzt der Regisseur Andrzej Jakimowski eine Geschichte entgegen, die Wehmut und Optimismus zusammenbringt.

Sein Film „Imagine“ beginnt in der Perspektive der „Anderen“. Während das Bild unscharfe Kontraste zwischen Hell und Dunkel zeigt, die zunächst keine Orientierung erlauben, ist das Hecheln eines Hundes zu hören. Dann wird das Bild scharf gezogen; man erkennt einen Innenhof. Eine Tür wird geöffnet. „Haben Sie geklopft?“, fragt der, der öffnet. „Nein“, sagt der, der eintritt, „ich dachte, es sei keiner da.“ Weil Zuschauer da bereits intuitiv verstehen, dass der Besucher blind ist, fällt ihm das Selbstbewusstsein hinter dieser Wahrnehmung auf: Ian (Edward Hogg) scheint besser zu wissen, was um ihn herum vorgeht als die Sehenden.

Diese Fähigkeit zur Orientierung soll Ian an blinde Schüler weitergeben, die in dem Kloster Unterschlupf gefunden haben. Ihren neuen Lehrer würden sie gern anfassen, um ihn besser kennenzulernen. Doch Ian fordert sie durch Distanznahme heraus: Sie sollen auf den Plätzen bleiben, ihre Nasen und Ohren anstrengen. Wie viel sich so herausfinden lässt, darüber staunen die Schüler. Er setzt sich mit ihnen in die Sonne und schult ihre Aufmerksamkeit.

Doch mit seiner auf Zurückhaltung bedachten Regie untergräbt Jakimowski die in der Story angelegten Sentimentalitäten. Zusätzlich verleiht Hogg dem Ian eine Undurchdringlichkeit, an der jeder Anflug von Kitsch abprallt. Es ist diese Seite der Erzählung, die fesselt: Die Standardhandlung, in der die Schulleitung misstrauisch wird und Ians Lehrmethoden wegen Gefährdung der Schüler in Kritik geraten, hakt der Film pflichtgemäß ab. Sein Hauptinteresse gilt der Entfaltung einer Wahrnehmung, die ihre Spannung behält, gerade weil ihr immer ein Zweifel innewohnt. Weil der Film auf jedwede Besserwisserei verzichtet, bleibt die Aufforderung, besser hinzuhören und besser hinzuschauen.

Imagine F/GB/PL/P 2012, 102 Min., o.A., täglich im Holi und Zeise