Der Botaniker Francis Hallé ist ein weiser Mann, der einen großen Teil seines Lebens in Wäldern verbracht hat. Er kennt Tausende verblüffender Wendungen im Spiel der Evolution und ist tief in die verschlungenen Wechselwirkungen zwischen den Millionen von Organismen eingedrungen, die einen Urwald ausmachen. Er weiß viel. Vor allem aber weiß er, wie wenig das ist. Bei seinen Studien hat er das Staunen nicht verlernt und Demut gelernt. Deshalb ist er ein idealer Erzähler.

Es ist ein Glücksfall, dass der Naturfilmer Luc Jacquet sich mit ihm zusammen getan hat. Bekannt geworden ist Jacquet mit seinem oscar-gekrönten Film „Die Reise der Pinguine“, der beim Publikum ein Erfolg war, in der Tierfilmszene aber auch auf Kritik gestoßen ist, weil Jacquet die Tiere allzu sehr vermenschlichte und die Pinguine von ihrer großen Wanderung erzählen ließ, als wäre sie ein Abenteuerepos. Mit „Das Geheimnis der Bäume“ zeigt er, dass die Naturwissenschaft solche Überhöhungen und künstlichen Dramatisierungen nicht braucht. Er lässt Hallé in einer klaren, allgemein verständlichen Sprache von den Bäumen und vom Wald erzählen, von unglaublichen Dingen, die man fantastischer nicht erfinden könnte. In der deutschen Fassung leiht Bruno Ganz dem Erzähler seine Stimme. Gnarzend bohren sich manche Sentenzen regelrecht ins Hirn und klingen nach.

Eine dieser Sentenzen lautet: Die Tiere herrschen über den Raum, die Bäume über die Zeit. Weil das so ist, stellen Bäume einen Filmregisseur eigentlich vor eine unlösbare Aufgabe. Er muss dem Baum die Herrschaft über die Zeit entreißen, wenn er einen Urwaldriesen, dessen Lebensspanne sich nach Jahrhunderten bemisst, als einen Organismus zeigen will, der in jeder Sekunde lebt und um sein Überleben ringt. Um dieses Problem zu lösen, bedient sich Jacquet grafischer Animationen. Zeichnen gehörte lange zum Handwerk des Naturforschers. Warum soll sich der Naturfilm nicht dieser Kunst bedienen? Es gelingen Jacquet damit eindrucksvolle Szenen. In wenigen Sekunden läuft ein Drama ab, das in Wirklichkeit hundert Jahre dauern kann: die Tötung eines Urwaldbaumes durch eine Würgefeige, eine Liane, die mit ihren Wurzeln den Baum, auf dem sie wächst, erdrosselt.

Dennoch ist Jacquets Film kein Studioprodukt. Gedreht wurde in den tropischen Urwäldern Perus und Gabuns, dabei wurden alle Register des Naturfilms gezogen. Nach Schwindel erregenden Flügen über die Baumwipfel stürzt die Kamera ins Unterholz und hinab in die Mikrowelt der Ameisen. Ob die Kamera sich gerade durch Südamerika oder Afrika bewegt, muss der Zuschauer selbst herausfinden. Die Tiere geben Auskunft. Elefanten gehören nach Afrika, Affen, die ihre Schwänze zum Klettern einsetzen, nach Südamerika, ebenso Jaguare.

Aber um diese Unterschiede geht es in dem Film nicht. Mit aller Kühnheit will er die vielhundertjährige Geschichte der Entstehung eines Urwaldes erzählen. Er beginnt deshalb auf der trostlosen Fläche einer Rodung und mit dem Aufwachsen der ersten Generation von Pionierbäumen. Eigentlich erzählt er eine optimistische Geschichte. Die Zerstörung der tropischen Regenwälder ist nicht unwiderruflich. Sie können sich regenerieren. Man muss ihnen nur mindestens 700 Jahre Zeit dafür lassen.

Offiziell startet der Film am 2. Januar in den Hamburger Kinos. Das Abaton zeigt die bildstarke Dokumentation in deutscher Fassung bereits als Silvester-Preview heute um 16.45 und 18.30 Uhr und zu Neujahr um 13 Uhr. (Eckhard Fuhr/kil)

Das Geheimnis der Bäume Di 31.12., 16.45 und 18.30 Uhr, Mi 1.1., 13 Uhr, Abaton, Allende-Platz 3, Karten zu 8, ermäßigt 7 Euro unter Tel. 41 32 03 29