Der neunjährige Benni aus Ahrensburg hat seine Großmutter Freya Hamann gefragt und von der pensionierten Lehrerin viel über deren Kindheit erfahren. Insa Gall hat das Interview aufgezeichnet.

Wie war es eigentlich früher, ein Kind zu sein? Gab es Taschengeld? Mehr Aufgaben? Vielleicht auch mehr Freiheit? Der neunjährige Benni aus Ahrensburg hat seine Großmutter Freya Hamann gefragt und von der pensionierten Lehrerin viel über deren Kindheit erfahren.

Benni: Wo habt ihr eigentlich gewohnt?

Freya Hamann: Als ich ein Jahr alt war, brach der Krieg aus. Zuerst haben wir hier in Hamburg, am Klosterstern in Eppendorf, noch nicht so viel davon gemerkt, aber dann fielen immer mehr Bomben. Deshalb kam ich sicherheitshalber zu meiner Tante Toni, die im hessischen Bieber im Spessart lebte und als Krankenschwester für sieben Dörfer zuständig war. So hatte ich das Glück, dass ich von den ganz schweren Bombenangriffen nichts mitbekommen habe. Im Dorf war das Leben einfach, aber ich fühlte mich wohl. Auch wenn ich meine Mutter vermisst habe und meinen Vater, der als Arzt im Krieg war. Nach den schweren Bombenangriffen kam meine Mutter zu uns, wir hatten in Hamburg alles verloren – auch meinen viel zu großen Teddy, den ich wegen der überfüllten Züge nicht hatte mitnehmen dürfen. Das hat mich am traurigsten gemacht.

Was musste man früher im Haushalt machen, das heute Maschinen übernehmen?

Habt ihr Waschmaschinen benutzt?

Hamann: Nicht nur nicht benutzt, wir hatten gar keine. Das Waschen bedeutete einen unheimlichen Aufwand. Die Stoffe waren dick und schwer, die wurden in großen Zinkwannen über Nacht eingeweicht und immer wieder geknetet oder mit dem Stock hin- und hergewälzt. Am nächsten Tag wurde die Wäsche auf dem Waschbrett gerubbelt, damit die Flecken rausgingen. Wenn die Flecken gar nicht rausgingen, wurden Laken und Bettwäsche in der Sonne zum Bleichen auf der Wiese hinter dem Haus ausgebreitet. Wir Kinder mussten sie immer wieder gießen, damit beim Trocknen die Flecken rausgingen. Bei Heidelbeerflecken konnte das Tage dauern. Darum waren die Erwachsenen damals ziemlich streng, wenn die Kinder ihre Kleider schmutzig machten.

Wie sicher waren die Häuser?

Hamann: Die Häuser schloss man schon ab, aber es wurde nicht eingebrochen – im Dorf kannten sich ja alle. Als zum Ende des Krieges die Alliierten Deutschland besetzten, kamen zu uns die Amerikaner, da hatten wir Glück. Sie schenkten uns Kindern Schokolade, nach der waren wir richtig ausgehungert. Schon ein Bonbon war der Himmel, ich habe manchmal an Brotkanten gelutscht, weil die im Mund süß wurden. Die Besatzer hatten Langeweile, es waren viele farbige Soldaten darunter. Die Männer wollten mit uns Kindern spielen. Etwas schwer war es nur, mit anzusehen, wie gut die mit Essen versorgt wurden. Wenn sie in ihren Feldküchen gekocht haben, standen die hungrigen Dorfkinder im Halbkreis drumherum und sahen mit großen Augen zu. Offiziell durften uns die Soldaten nichts abgeben. Weißt du, was sie gemacht haben? Die haben von ihrem leckeren Brot einmal abgebissen, so getan, als schmeckte es ihnen nicht, und den Rest dann im hohen Bogen zu uns geworfen.

Wie viele Kinder waren in eurer Klasse?

Hamann: In unserem Dorf gab es nur eine einklassige Schule. In der einen Hälfte des Hauses war die Krankenstation meiner Tante, die andere bestand aus dem Klassenzimmer, in dem alle Schulkinder zusammen unterrichtet wurden. Vormittags waren die älteren Kinder von der fünften bis zur neunten Klasse dran, nachmittags wir Grundschüler. So etwas wie eine Turnhalle oder einen Physikraum hatten wir nicht.

Womit habt ihr geschrieben?

Hamann: Als ich ganz klein war, hatten wir eine Schiefertafel. Hefte gab es nicht. Geschrieben wurde mit Schiefergriffeln. Die brachen so leicht, deshalb wurden sie in Griffelkästen transportiert. Unsere Bänke waren angeschrägt, das hast du mal im Schulmuseum gesehen. Hefte und Federn gab es erst später.

Waren die Lehrer streng?

Hamann: Schon, allerdings nicht zu uns Mädchen. Wir fanden unseren Lehrer toll, weil er den frechen Jungs die Leviten gelesen hat.

Wie habt ihr eure Freizeit gestaltet?

Hamann: Unsere Freizeit bestand oftmals daraus, dass wir helfen mussten – Schuhe putzen, Holz stapeln. Häufig war das Spiel in die Arbeit einbezogen. Nachdem wir das Holz gestapelt hatten, haben wir gefragt, ob wir damit spielen durften und uns richtige Zimmer daraus gebaut. Wenn wir uns an die Regeln hielten und hinterher alles aufräumten, durften wir das. Wir haben im Garten gearbeitet oder mussten in den Wald gehen und Heidel- und Walderdbeeren, Nüsse und Bucheckern sammeln. Das war einerseits Arbeit, andererseits auch Spiel. Und wir hatten danach etwas zu essen.

Gab es auch Spiele, die heute noch gespielt werden?

Hamann: Einige schon, wie etwa mit Kreide Kästchen zum Hüpfen auf das Pflaster malen. Wir konnten ja den ganzen Tag auf der Straße spielen, da kam kein Auto vorbei, sondern höchstens mal das Ochsen-Fuhrwerk eines Bauern. Unser ganzes Dorf war für uns Spielplatz. Wir durften überall hin, auf Mauern balancieren, über Gräben springen. Darum hat sich kein Erwachsener gekümmert, auch wenn wir mal reingefallen sind.

Durften Kinder früher mehr als heute?

Hamann: Ja und nein. Auf der einen Seite hatten wir viel mehr Freiheiten und standen nicht dauernd unter Beobachtung, auf der anderen Seite mussten wir auch ganz schön mit anpacken. Man wurde wenig ausgeschimpft für Dinge, wegen denen heute großes Theater gemacht wird. Aber es gab richtige Strafen – Stubenarrest oder Gartenarbeit – für alles, was mit der Moral zu tun hat, wenn also beispielsweise gelogen oder jemand beleidigt wurde. Man musste zu Tisch kommen, wenn das Essen fertig war. Endlose Diskussionen wie heute gab es nicht. Kinder waren wichtig, weil sie zum gemeinsamen Leben etwas beigetragen haben. Heute sind Kinder durch ihre Überbehütung manchmal ausgegrenzt.