„Der Hamburger Jedermann“ von Michael Batz geht in der Speicherstadt bereits in seine 20. Spielzeit. Was als Provokation begann, ist längst zu einem Klassiker des hanseatischen Kultur-Sommers geworden.

Hamburg. Gleicher Ort, gleiche Zeit, aber immer wieder aufs Neue faszinierend. So ergeht es zahlreichen Besuchern seit zwei Jahrzehnten beim „Hamburger Jedermann“. Und das gilt nicht nur für die Menschen aus nah und fern. Kürzlich traf sich das Ensemble zur ersten Leseprobe dieses Sommers in einem Speicher, die Wiedersehensfreude unter den 14 Schauspielern war groß. „Wer einmal drin ist, will wieder dabei sein, besonders in diesem Jahr“, erzählt Michael Batz lächelnd. Die 20. Spielzeit steht bevor.

Batz hat den „Hamburger Jedermann“ 1994 mit dem damaligen Regisseur Thomas Matschoß als hanseatische Antwort auf den Salzburger „Jedermann“ in der historischen Speicherstadt als „Das andere Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ zur Uraufführung gebracht. „Damals war es ein wildes Experiment, eine Art von Provokation“, erinnert sich Batz. Und der Theatermacher, seit der Fußball-WM 2006 auch als Lichtkünstler („Blue Goals“) bekannt, lässt es nicht nehmen, seinen Text an die herrschenden Verhältnisse anzupassen und diesen gleichzeitig mit satirischen Seitenhieben zur Welt-, Bundes- bis hin zur Lokalpolitik zu aktualisieren. „Etwa 85 Prozent sind geblieben, sie bilden das Gerüst.“ Themen wie der NSA-Abhörskandal, die Drohnen-Affäre um de Mazie`re oder Steuerparadiese und immer noch ein bisschen Elbphilharmonie haben Batz auch in diesem Jahr zu neuen Versen inspiriert. Und der Mensch in der Ökonomie, umgeben von immer mehr Technologie bleibt sein Thema.

Was macht die Identität aus? Bei den Salzburger Festspielen sei doch mehr oder minder nur noch interessant, wer in dem mehr als 100 Jahre alten Drama Hugo von Hoffmannsthals die Buhlschaft spiele und wie ihr Kleid aussehe, meint Batz. In der Hansestadt hingegen bildet die Kulisse der Speicherfront am Brooksfleet mitsamt der Sandbrücke — besonders bei Abendsonne — ein Bühnenbild für das Mysterienspiel, das seinesgleichen sucht. Das Publikum sitzt unmittelbar im Geschehen, die Bretterbühne steht direkt am Kesselhaus.

Die Speicherstadt will sich der Jedermann unter seinen Nagel reißen, dafür verkauft er sich und seine Seele, indem er eine Pakt mit dem Teufel schließt. „Der Jedermann ist ja kein böser Mensch, er nutzt das System“, sagt Batz. In der Titelrolle feiert Robin Brosch, für Batz „ein Tausendsassa in diesem Sommer bereits zehntes Jubiläum. Der in Berlin geborene und ausgebildete Schauspieler hat dem „Hamburger Jedermann“ nach seinen Vorgängern Holger Mahlich und Rolf Becker Jahr für Jahr mehr Konturen gegeben — in einer „Freundlichkeit des Gnadenlosen“, wie es Batz ausdrückt. Als Brosch, zuvor in Hamburg vor allem als „Buddy“ im gleichnamigen Musical über den Rock ’n’ Roller Buddy Holly bekannt, 2004 Premiere hatte, was das nicht unbedingt absehbar. Die Zeiten, da der Jedermann im Business-Loo mit Laptop auf die Bühne eilte, sind dank Smartphone auch passé. Fünf Schauspieler aber, die am Abend jeweils bis zu sechs Rollen ausfüllen, sind bis heute: Friederike Brüheim, Michael Bideller, Johannes Haag, Wolfgang Hartmann und Erik Schäffler. Letztgenannter wurde nicht nur zum Teufel par excelance, er führt seit Jahren auch Regie beim „Hamburger Jedermann“.

„Der Jedermann ist eines der größten Hamburg-Abenteuer, das uns erst spielerisch klar geworden ist, sagt Batz, ohne überheblich zu klingen. Anders ausgedrückt: Er spiegelt Zeitgeschichte auf unterhaltsame hamburgische Art. „Jedermann!“ Wenn Hartmann als Tod von Freitagabend an hoch oben aus einer Luke im Speicher überm Brooksfleet nach ihm ruft, spätestens dann hat er richtig begonnen, der Hamburger Sommer 2013.

„Der Hamburger Jedermann“ Premiere 12.7., bis 25.8., jew. Fr/Sa 20.00, So 19.00, Theater in der Speicherstadt (U Meßberg, Bus 6), Auf dem Sande/Brooksfleet, Karten zu 18,- bis 52,- unter T. 3696237; www.hamburger-jedermann.de