Es gibt nichts Besseres, um sich zum Live-Süchtigen zu machen, als ungestörte Minuten im Parkett der Laeiszhalle am Johannes-Brahms-Platz.

Hamburg. Es ist ganz einfach: Kommen Sie früh und genießen Sie in aller Ruhe die Unruhe. Das gespannte Warten auf die nahenden Attraktionen, das Naserümpfen über waffenscheinpflichtige Parfümschwaden aus dem Vordersitz. Die Engelsgeduld, mit der Ehefrauen immer wieder dem mitabonnierten Gatten vorlesen, worum es diesmal geht. Es gibt nichts Besseres, um sich zum Live-Süchtigen machen zu lassen, als einige ungestörte Minuten im Parkett der Laeiszhalle am Johannes-Brahms-Platz. Kurz bevor das Licht verlöscht, kurz bevor das Konzert beginnt.

Bis zur Eröffnung der Elbphilharmonie ist dieser Saal mit seinen knapp 2000 Plätzen das klassische Nonplusultra Hamburgs, auch danach wird er einzigartig bleiben. Den musealen Baustil im Schuhschachtel-Format, den muss man mögen, aber den Klang, den er seit mehr als einem Jahrhundert hervorzaubert, den muss man lieben. Wenn man mich fragt, nach etlichen Musikkritiker-Dienstjahren und Hunderten von Konzerten - Parkett Mitte, so ab Reihe 10 bis, sagen wir mal, Reihe 14. Das isses. Das sind die Plätze, die man jederzeit guten Gewissens dem Endverbraucher empfehlen kann. Vorausgesetzt, man bekommt auch die Karten dafür. Für die jeweilige musikalische Qualität auf der Bühne übernehme ich allerdings keine Gewähr.

Alles, was Rang und Namen hat, ist seit der feierlichen Eröffnung im Sommer 1908 vor diesen (zugegebenermaßen nur bedingt geräumigen) Sitzmöbeln aufgetreten. Horowitz' Karriere begann hier, Yehudi Menuhin kam als Wunderkind, die Callas als Diva assoluta. Unzählige Virtuosen, große Orchester, Jazz-, Pop- und Lokal-Größen, Stars. Und manchmal auch Stümper. Jeder einzelne Sitz, jedes Bühnenbrett ist aufgeladen mit Musikgeschichte und Klängen. Eine Patina aus Erinnerungen und Emotionen, die einzigartig ist.

Die Reihen vor der Wohlfühlzone werden gern von jenen Konzertbesuchern in Beschlag genommen, die immer noch glauben, je näher, desto besser. Ist es nicht, glauben Sie mir. Erst recht nicht in diesem Saal, dessen Akustik zu den ersten Adressen der Welt gehört. In Reihe 1, gern an örtliche Honoratioren und diensthabende Senatoren vergeben, sieht man nichts von der Fingerfertigkeit des Pianisten. Man darf dem Violinvirtuosen schlimmstenfalls direkt in die Nasenhaarbüschel schauen und hat ansonsten vor allem den Konzertbühnen-Vorbau im Blickfeld, während ein Großteil des Klangs knapp über einen hinwegschallt. Und je größer die Orchesterbesetzung, desto größer ist dieser Streu- und Genussverlust.

Internetsüchtige Besucher könnten enttäuscht sein, dass es hier kein WLAN-Netz gibt, um mal eben eine erste Meinung zum gerade Gehörten rauszutwittern. Flaschenhalter wie im Kino gibt es übrigens auch nicht, obwohl es - hin und wieder - auch Abende gibt, die man sich am liebsten schön trinken würde. Doch das ist alles egal, wenn das Konzert beginnt. Lehnen Sie sich zurück. Alles andere übernimmt die Musik.

Kultur

Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz, 20355 Hamburg

Tel.: 040/357 66 60

www.laeiszhalle.de

Preise: Von wenigen Euro für eine Studentenkarte bis über 300 Euro, etwa für die beste Kategorie bei Anna Netrebko.

ÖPNV: U 1, Haltestelle Stephansplatz; U 2, Haltestelle Gänsemarkt oder Messehallen; Buslinien 35, 36, 3, 112, Haltestelle Johannes-Brahms-Platz, Buslinien 34, 5, 109, Haltestelle Gänsemarkt oder Stephansplatz.

Geeignet für alle, die gerne zuhören und zwei Stunden still sitzen können.