Das Neptun-Hotel in Warnemünde wird 40 - einige der Mitarbeiter sind schon seit 1971 dabei

Für die Brüder Michael und Jörg-Peter Sellmann war es so etwas wie ein Hauptgewinn, als sie 1971 beide einen Lehrvertrag vom Warnemünder Neptun-Hotel in Händen hielten. Der monumentale Bau, der 64 Meter hoch zwischen den Dünen des Ostseebads emporragt, war gerade erst eröffnet worden und galt damals als das Prestige-Objekt der DDR. 40 Jahre sind inzwischen vergangen, und die Sellmanns sind noch immer dort. Michael ist zum Küchenchef aufgestiegen, Jörg-Peter zum Oberkellner.

Es ist eine wechselvolle, manchmal widersprüchliche Geschichte, für die das Neptun steht. Dass es ein Kind seiner Zeit ist, sieht man der Fassade des Betonriesen an, und das spiegelt sich noch heute im gediegenen Luxus seiner Einrichtung. Längst hat es sich zu einem von Legenden umrankten Wahrzeichen für den Ort entwickelt, weithin sichtbar, vor allem für jene, die von See aus anreisen. Im Volksmund hieß der Bau, der als Unterkunft für sogenannte "Devisenausländer" geplant war und dann doch zu 80 Prozent vom Feriendienst des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB genutzt wurde, schon früh das "Hotel der Spione".

Die Staatssicherheit gehörte zu den Stammgästen, und Devisen-Beschaffer Alexander Schalck-Golodkowski hatte lange Zeit eine eigene Suite in der 16. Etage. Trotzdem galten dem Haus viele Sympathien. Im Keller nämlich lockte vor der Wende das "Daddeldu", laut Hotelleitung die erste Diskothek der DDR. Im Erdgeschoss duften heute wie einst die "Goldbroiler", die Brathähnchen, und ganz oben lockt die Sky-Bar, in der sich bei schönem Wetter das Dach zum Himmel öffnen lässt. Zimmer mit extra großem Schreibtisch, Damenzimmer mit Spiegelschränkchen, selbst eine eigene Haustieretage gibt es in der Edel-Herberge. Sie leistet sich nach wie vor ihre eigene Patisserie, und die einstige Kurmittelabteilung ist heute eine vielfach preisgekrönte Wellnessoase samt originalem Thalasso-Zentrum.

Eine Reihe prominenter Gäste reisten im Laufe der Jahre an. Schauspieler wie Armin Mueller-Stahl oder Hanna Schygulla, die Kronprinzessin Mary von Dänemark und Kosmonaut Sigmund Jähn waren darunter, ebenso Politiker aller Couleur wie Willy Brandt, Helmut Kohl und Angela Merkel, Fidel Castro, Walter Ulbricht und seine Lotte. Jörg-Peter Sellmann hat ihnen allen schon das Wasser oder auch mal den Champagner gereicht. Doch er winkt gelassen ab: "Man lernt solche Leute ja nicht kennen. Mit denen hält man ein bisschen Small Talk - bitte, danke, das war's." Viele seien darauf bedacht, möglichst unauffällig bedient zu werden. Jörg-Peter Sellmann schmunzelt, wenn er an einen Besuch Fidel Castros zurückdenkt: "Der wollte gar nicht bemerkt werden. Einmal hat er es wirklich geschafft, zu verschwinden. Alle haben ihn gesucht, es herrschte große Hektik, bis man ihn im Wellenbad fand, wo er zufrieden allein umherschwamm."

Die Brüder kommen ins Erzählen. Von dem amerikanischen Box-Promoter Don King, der ganz und gar nicht zurückhaltend gewesen sei, sondern laut polternd in die Küche kam, um Eisbein zu fordern. Oder von dem Durcheinander, als 1975 einmal ein Scheich zu Gast war und eine ganze Etage für sich und sein Gefolge in Anspruch nahm. "Da standen überall welche von der Security, ließen niemanden durch und kontrollierten die Essenslieferung."

Beinahe gerät bei den Erzählungen in Vergessenheit, dass es zu DDR-Zeiten einen Vertrag mit dem FDGB gab, der festlegte, dass im 14-tägigen Wechsel mindestens 560 Plätze im Haus an Werktätige der DDR vergeben werden sollten. 310 Mark zahlten diese Urlauber inklusive Vollpension. Dass das Neptun trotzdem mit "S+200" in die höchste Preiskategorie der Republik fiel, lag daran, dass es auch gastronomische Einrichtungen im Hause gab, die im Rahmen der Vollpension nicht verfügbar waren. Michael Sellmann: "20 Prozent der Betten durften wir ja privat verkaufen. Da kamen dann zum Beispiel Bäcker oder Fleischer, alle, die etwas mehr Geld hatten. Von 1971 bis 1989 war das immer der gleiche Gästekreis. Danach veränderte er sich komplett."

Jetzt waren es fast nur noch Dienstreisende, die ins Neptun kamen. Sellmann: "Normale Bürger haben sich erst mal 'nen Videorekorder gekauft, eine Hi-Fi-Anlage oder ein Auto. Reisen innerhalb Deutschlands waren in der Zeit kaum gefragt." Diejenigen aber, die in den neuen Bundesländern Unternehmen gründeten oder als Vertreter unterwegs waren, mieteten in dem Warnemünder Hotel häufig dauerhaft Zimmer, die sie als Büros nutzten. Ein Luxus, den sich heute kaum jemand mehr leisten könnte. Die Übernachtungspreise in dem Fünf-Sterne-Haus liegen zwischen 100 und 510 Euro. Was die Gastronomie angeht, so hat man nur in der Broiler-Bar noch das Gefühl, dass die Zeit stehen geblieben ist. Ansonsten gibt es anstelle von Toast Hawaii und Currycremesuppe eher Kreationen wie das "Tatar vom Weidenrind mit Forellenkaviar und Räucheraalfilet" oder den "Ostsee-Steinbutt an rotem Kaviarrahm und Algensalat".

Wenn Gäste heute etwas über die Zeiten wissen wollen, als das Haus in der Hand der Stasi war, winkt Michael Sellmann lachend ab: "Mich hat nie jemand gefragt, ob ich da mitmachen will. Und aufgedrängt hab ich mich nicht." Eine Frage, die er nicht mehr hören mag, ist die, ob es denn vor oder nach der Wende schöner war. Er versichert: "Jede Zeit hat ihre Vor- und Nachteile. Wir haben damals herrliche Partys hier gefeiert, und das tun wir heute auch."