Markttag in Ottensen: Sie sehen Verkaufsstände mit bunten Markisen ...

Hamburg. Sie riechen frisch gebackenes Brot, Käse, Erdbeeren und Rosen. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es den Markt auch schon, allerdings war er da noch keine Freiluft-Parfümerie. Im Gegenteil: Die Bewohner mussten den Gestank von Fischverarbeitungsbetrieben, den Rauch aus den Schornsteinen der Metallindustrie, das Beißen der Gewürzmühle ertragen, denn der Stadtteil war Industriegebiet.

Fisch und Ruß stinken, klar. Aber Gewürze? "Es wurden damals ja nicht nur Zimt und Nelken gemahlen", sagt Gaby von Malottki, "sondern auch Knoblauch." Gaby von Malottki weiß nahezu alles über Ottensen, könnte man meinen, wenn man ihr während einer ihrer Stadtteilrundgänge zuhört. Seit 30 Jahren lebt sie in "ihrem Ottensen". In den 80er-Jahren gründete sie zusammen mit Gleichgesinnten das Stadtteilarchiv in der alten Drahtstiftefabrik in der Zeißstraße. Von dort aus starten auch die Rundgänge, dabei ist jede Tour anders, ein Standardprogramm kennt Gaby von Malottki nicht. Sie erzählt, was ihr beim Schlendern durch die Stadt auf der Zunge oder auf dem Herzen liegt. Deshalb sind ihre Geschichten so lebendig - selbst wenn es um den Tod geht: Das Mercado neben dem Altonaer Bahnhof beispielsweise ist wahrscheinlich das einzige Einkaufszentrum, das gleichzeitig als Friedhof und Gedenkstätte fungiert. Auf dem Gelände bestattete vor dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Gemeinde ihre Toten. "Eine Umbettung der Verstorbenen fand später nicht statt", erklärt Frau von Malottki. Glastafeln mit den Namen der Verstorbenen in einem Treppenaufgang der Shopping-Passage erinnern heute an die Vergangenheit des Orts.

Ein paar Straßen weiter im Borselhof wurden früher Reisschälmaschinen gebaut. Die Schienen der ehemaligen Industriebahn führen noch immer direkt in das Gebäude. Wo früher die Schornsteine des Schiffsschraubenbauers Zeise rauchten, qualmen heute die Köpfe von Schmuckdesignern und die Pfannen einer Tapas-Bar. Aus dem Arbeiter- wurde ein Kreativ-Viertel mit teuren Mietwohnungen. Trotzdem konnte sich Ottensen viel von seinem ursprünglichen Charme bewahren. "Es war großes Glück, dass Ottensen den Krieg so unbeschädigt überstanden hat", erklärt Gaby von Malottki. Die alten engen und verwundenen Straßen lassen heute selbst bei Besuchern ein "Wir hier in unserem Dorf"-Gefühl aufkommen, wie es Gaby von Malottki nennt. Und auch während des Rundgangs wird schließlich aus ihrem Ottensen "unser Ottensen".

Touren

Stadtteilarchiv Ottensen, Zeißstraße 28 (Hinterhaus), 22765 Hamburg

Tel.: 040/390 36 66

www.stadtteilarchiv-ottensen.de

Öffnungszeiten: Di, Mi 9.30-13 Uhr und 14-16.30 Uhr, Do 14-19 Uhr

Preise: Erwachsene 6 Euro (ermäßigt 4 Euro)

Termine zu den Stadtrundgängen finden Sie auf der Internetseite oder können individuell vereinbart werden. Auch persönliche Wünsche zu bestimmten Stationen der Tour werden gerne erfüllt.

ÖPNV: S 1/S 2/S 3, Buslinien 112, 25, 183, 283, Haltestelle Altona

Geeignet für Zugezogene, die mehr über ihre neue Heimat wissen wollen, und für Einheimische, die erfahren wollen, was eigentlich aus dem Geburtshaus ihrer Mutter geworden ist.