Hamburg.

Wir Zuschauer werden ja immer hartgesottener. Eine bloße Leiche verursacht keinen Schauer mehr, die gibt’s ja täglich in vielen Fernsehkrimis. Auch ein Obduktionstisch hat längst seinen Schrecken verloren, nach zahlreichen Serien um Pathologen wissen wir bei diesem makabren Beruf inzwischen sogar ganz gut Bescheid. Da ist es vielleicht nur noch ein kleiner, zynischer Schritt zu dieser dramaturgischen Nötigung, dass ein Laie Leichen aufschneidet.

Es ist ein Albtraum, der nie aufhört. Die junge Comiczeichnerin Linda (Jasna Fritzi Bauer) ist vor ihrem brutalen Ex-Freund nach Helgoland geflohen. Aber dann bekommt sie mehrere SMS von ihm, der sie offenbar bis hierher verfolgt hat. Sie kommt von der Insel nicht mehr weg, da wegen eines Orkans alle Verbindungen zum Festland unterbrochen sind. Dann stolpert sie am Strand buchstäblich über eine Leiche. Und als in dessen Jacke ein Handy klingelt, ist plötzlich ein Rechtsmediziner am Apparat.

Auch für den hört ein Albtraum nicht auf. Eben noch musste sich Paul Herzfeld (Moritz Bleibtreu) vor einem Richter verantworten wegen eines Wutausbruchs, bei dem er einem Mann die Nase gebrochen hat. Die nächste Obduktion muss er mit verbundener Hand bewältigen. Und dann findet er in der brutal zugerichteten Leiche eine Kapsel mit dem Namen seiner Tochter – und ihrer Handynummer. Die Tochter ist offensichtlich von einem sadistischen Serienmörder entführt worden. Herzfeld darf die Polizei nicht verständigen. Sein Peiniger spielt ein perverses Spiel mit ihm, bei dem der nächste Hinweis sich immer in einer Leiche verbirgt. Eine Schnitzeljagd mit Toten also.

So kommt Herzfeld an die Telefonnummer, bei der dann Linda auf Helgoland antwortet. Und er muss das arme Mädchen um einen grausigen Gefallen bitten: die Leiche, die es gefunden hat, zum örtlichen Krankenhaus schaffen – und dann obduzieren.

Das Mädchen ist fassungslos. Linda hat keine Ahnung, wie das geht. Aber der Mann am Telefon meint, sie könne doch zeichnen, sei also geschickt mit den Händen. Und der Klinik-Hausmeister (Fahri Yardim), an den Herzfeld sie verweist, ist vielleicht der Einzige, der ihr gerade beistehen kann. Also lässt sie sich auf die grausige Idee ein. Und setzt das Seziermesser an – nach den Anleitungen, die ihr der Mediziner via Handy gibt.

„Abgeschnitten“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Thrillers, den Sebastian Fitzek mit dem Rechtsmediziner Michael Tsokos geschrieben hat. Ein blutiges Drama, bei dem sich der Zuschauer gleich mit zwei Laien identifizieren kann: mit der armen Linda, die erstmals mit Leichen zu tun hat. Und mit Herzfelds neuem Assistenten (Ingolf von Appen), der sich im Obduktionssaal recht ungeschickt anstellt, aber Herzfeld anbietet, ihn persönlich und auf eigene Faust von Berlin nach Helgoland zu bringen.

Wegschauen hilft nichts, die Geräusche beim Knochenschaben sind schlimm

Der Titel ist durchaus doppeldeutig zu verstehen. Er meint erst mal, dass die Insel nicht zu erreichen ist, ist dann aber auch ganz wörtlich zu verstehen, weil hier allerhand ab- und aufgeschnitten wird. Das ist nichts für Zartbesaitete. Und wegschauen nutzt in diesem Fall auch nichts, denn hässliche Schabgeräusche sind dennoch zu hören. Und dann bietet der Thriller auch gleich zwei mit zahllosen Schockmomenten durchsetzte Horrortrips, die erst ganz zum Schluss zusammenkommen und einem ständig das Blut gefrieren lassen.

Genre-Kino ist etwas, das im deutschen Film eher selten ist. Und noch seltener beherrscht wird. Einer der wenigen, die es darin zu echter Meisterschaft gebracht haben, ist Christian Alvart. Das hat er erst kürzlich mit dem Adrenalinkick „Steig. Nicht. Aus!“ bewiesen. Auch „Abgeschnitten“ ist Nervenkitzel pur. Mit großartigen Schauspielern, darunter Lars Eidinger in einer wieder mal dämonischen Rolle und Fitzek selbst in einem Gastauftritt. Mit klaustrophobisch zugespitzter Atmosphäre. Und einem Gespür für Spannungssteigerung. Dabei geht es Alvart nicht nur um vordergründige Effekte, sondern auch um tiefere, moralische Konflikte. Dass der Plot zuweilen kraus konstruiert ist und dabei nicht nur Körperorgane aus Leibern, sondern auch Logikfehler offen heraushängen, muss man allerdings schon in Kauf nehmen.

D 2018, 132 Min., ab 16 Jahren, Darsteller: Moritz Bleibtreu, Lars Eidinger, Jasna Fritzi Bauer, Fahri Yardim, täglich im Cinemaxx Dammtor/Harburg, UCI Mundsburg/ Othmarschen Park