Wenn der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler eine Premiere ansetzt, ist klar, dass es sich nicht um eine wirkliche Stückinszenierung handelt. Und so ist die Uraufführung von „Die Wehleider“ am 2. Dezember im Schauspielhaus auch sehr frei nach Motiven aus Maxim Gorkis „Sommergäste“ angelegt. Im Grunde handelt es sich um ein gänzlich freies Projekt, wie Marthalers langjährige Dramaturgin Stefanie Carp erläutert, in dem nur noch einzelne Sätze und ein gewisser Denkrahmen Gorkis enthalten sind. Handlung und Personal der „Sommer­gäste“ tauchen nicht auf.

Eine Horde sich selbst bemitleidender Europäer versammelt sich in einer Turnhalle und versucht dort, die Probleme mit den Veränderungen durch zugezogene Neubürger zu therapieren. „Es geht um den Zustand der wehleidigen Europäer, die Ängste haben und sich überfordert fühlen“, sagt Stefanie Carp. „Das Obszöne daran ist, dass man auf einem Kontinent lebt, in dem ein großer Teil der Menschen sehr abgesichert ist.“

Was da nun im Einzelnen passiert, will sie nicht verraten. „Die Wehleider“ sollen Turnübungen vollführen, wobei die Älteren der Gruppe so eingerostet sind, dass sie das gar nicht mehr können, die Jungen aber auch nicht, weil sie derart degeneriert sind. „Das ist nicht sozialrealistisch angelegt, es ist ein abstrakter Abend. Wir nähern uns der Situation mit einem gewissen satirischen Humor“, sagt Stefanie Carp.

Dafür ist Marthaler bekannt, legendär seit Arbeiten wie „Die Stunde Null“ oder „Goethes Faust Wurzel 1+2“, die er vor 20 Jahren bereits an gleicher Stätte zeigte. Der jetzt 65 Jahre alte Schweizer Regisseur schafft assoziative Bilder, die nicht über das inhaltliche Erzählen funktionieren, sondern über eine Musikalität. Entsprechend sind Lieder ein zentrales Moment. Und Marthaler, Meister der präzisen Langsamkeit, nimmt sich gern Zeit, die Dinge zu entwickeln.

„Es kommen Texte vor, sie sind aber nicht die Spur, über die etwas erzählt wird. Es kommen Menschen vor, aber nicht in dem Sinne, dass eine Geschichte erzählt wird“, erläutert Stefanie Carp. Es dürfte eine von Marthalers politischsten Arbeiten werden. „Wir leben in einer ex­tremen Zeit, in der die Zeitgeschichte heftig spürbar ist“, so Carp. „Damit möchte man sich im Theater als Kunstform der Ausein­andersetzung beschäftigen.“ Es wird sich zeigen, ob „Die Wehleider“ zumindest auf der Bühne therapierbar sind.

„Die Wehleider“ UA Fr 2.12., 20 Uhr, weitere Vorstellungen 9.12., 20 Uhr, 13.12., 17.12., jeweils 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten 10 bis 49 Euro unter T. 24 87 13