Sie hat Filmemacher schon häufig fasziniert, und wie denn auch nicht: Marie Curie absolvierte ihr Studium in Rekordzeit, sie war die erste Doktorandin und die erste Professorin an der renommierten Sorbonne, sie brachte mit ihren Forschungen an radioaktiven Elementen die Krebstherapie entscheidend voran und war schließlich nicht nur die erste Frau, die den Nobelpreis bekam, sondern bis heute die einzige Frau, die den Preis in zwei Kategorien erhielt: in Physik und in Chemie, ihren Paradedisziplinen.

Schon 1943, neun Jahre nach ihrem Tod, brachte der spätere „Quo Vadis“-Regisseur Mervyn LeRoy eine Verfilmung ihres gesamten Lebens in die Kinos, während die französische Produktion „Les Palmes de Monsieur Schutz“ (1997) mit Isabelle Huppert sich nur einen kleinen Ausschnitt ihrer Karriere vornahm.

Beide Filme widmeten sich den Schwierigkeiten, vor denen eine Frau im damaligen Wissenschaftsbetrieb stand – aber beide ließen auch ein Kapitel ihrer Vita aus, das bis heute nur wenigen bekannt ist und über das vielleicht lieber geschwiegen wird.

Regisseurin Marie Noëlle hat die „Langevin-Affäre“ ins Zentrum ihres ergreifenden Films gestellt. Nachdem Marie Curies Ehemann Pierre 1905 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, arbeitete seine Witwe eng mit seinem ehemaligen Schüler Paul Langevin zusammen, woraus sich im Jahr 1910 eine Liebesbeziehung entwickelte. Sie trafen sich in einer gemeinsam angemieteten Wohnung, wo sie auch ihre Liebesbriefe aufbewahrten. Das Problem und auch der Grund für das jahrelange Zögern: Paul war zu diesem Zeitpunkt verheiratet und Vater von vier Kindern – bis seine Frau die Scheidung einreichte und ihn wegen „Verkehrs mit einer Konkubine“ verklagte. Die Sache gelangte in die Presse, und während außereheliche Affären von Männern damals wie heute als Kavaliersdelikte galten, musste sich die polnische Immigrantin Marie Curie nun den Vorwurf anhören, sie habe eine französische Familie zerstört. Dass dazu immer zwei gehören, interessierte niemanden so richtig.

Diese Geschichte, die auch im Pistolenduell eskalierte, hat Marie Noëlle zum großen Sittengemälde der französischen Gesellschaft gestaltet. Statt nur die beruflichen Hürden für Frauen aufzuzeigen, zielt sie auf den sexistischen Kern des Problems: auf eine Freiheit, die für Männer als selbstverständlich galt und Frauen untersagt bleiben sollte. Sie hat mit Karolina Gruzska als Marie und Arieh Worthalter als Paul zwei Hauptdarsteller gefunden, die sofort zu einer Chemie finden. Und sie hat der Versuchung widerstanden, die Gegner dieser Ausnahmewissenschaftlerin zu bösen Karikaturen zu verzerren. Es waren ganz normale Bürger, beunruhigenderweise.

„Marie Curie“ D/F/PL 2016, 100 Minuten, ab 6 Jahren, Regie: Marie Noëlle, Darsteller: Karolina Gruszka, Arieh Worthalter, Charles Berling, täglich im Abaton, Koralle, Zeise