Was ist Jazz? Diese Frage lässt sich schon seit den 60er-Jahren nicht mehr eindeutig beantworten, als sich eine Riege afroamerikanischer Musiker die Freiheit herausnahm, allen Ballast abzuwerfen und in ungeahnte Klangwelten vorzustoßen. Seither hat der sogenannte Jazz sich mit anderen Stilrichtungen zusammengetan und spannende Kreationen hervorgebracht. Mit Rock, mit einer Rückbesinnung auf Afrika, mit der Einbindung jeglicher Form von Folklore, in der Auseinandersetzung mit Hip-Hop oder neuen elektronischen Möglichkeiten. Das Überjazz-Festival auf Kampnagel zeigt wie kaum ein anderes Festival in Deutschland viele dieser verschiedenen Strömungen und blättert einen Fächer ganz unterschiedlicher Klangfarben auf, die in der Summe ein bunt leuchtendes Kaleidoskop ergeben.

Der aus Chicago stammende Saxofonist Idris Ackamoor repräsentiert jene afroamerikanischen Künstler, die noch Rassentrennung erlebt haben, und die sich mit der polyrhythmischen Musik Afrikas beschäftigten. Ackamoor steht in der Tradition von Musikern wie John Coltrane und Sun Ra und wie diese geht er mit seiner Band, den Pyramids, zurück zu den afrikanischen Wurzeln. Heraus kommen dabei wunderbar groovende Kompositionen. „We Be All Africans“ heißt das aktuelle Album dieser spannenden Formation, die schon 2011 beim Überjazz gastierte. Zur jüngeren Generation afroamerikanischer Saxofonisten gehört Marcus Strickland, Jahrgang 1979. Seit er 1997 nach New York kam, hat er dort in verschiedenen Bigbands gespielt und fünf Jahre lang in der Band der Schlagzeuglegende Roy Haynes musiziert. Strickland hat sich in jüngerer Zeit mehr für Hip-Hop-Beats und deren Möglichkeiten interessiert. Er arbeitete mit dem Pianisten Robert Glasper zusammen und war 2014 beim Überjazz als Mitglied von Chris Dave & The Drumhedz. Auch der Schlagzeuger Makaya McCraven aus Chicago steht knietief im Hip-Hop. „In The Moment“ heißt sein Debütalbum, beim Überjazz feiert er seine Hamburg-Premiere.

Nicht nur aus den USA, der Geburtsstätte von Jazz, Soul und Hip-Hop, kommen verschiedene Künstler zum Überjazz, auch Großbritannien ist mit einem bemerkenswerten Aufgebot vertreten. Zu einem Höhepunkt des zweitägigen Festivals könnte der Auftritt des Cinematic Orchestras werden. Das Ende der 90er-Jahre von Jason Swinscoe gegründete Ensemble verbindet Jazz-Improvisationen mit elektronischen Sounds. Der Name der Formation ist Programm: The Cinematic Orchestra hat schon Musik für den Stummfilmklassiker „Der Mann mit der Kamera“ aufgenommen. Auch das Trio GoGo Penguin aus Manchester gastiert zum zweiten Mal beim Überjazz, in diesem Jahr auf der großen Bühne. Weitere spannende Acts aus der pulsierenden Londoner Szene sind The Comet Is Coming und Yussef Kamaal.

Ein weiterer Schwerpunkt widmet sich in diesem Jahr der Szene in Los Angeles. Von dort kommt Thundercat, rechte Hand der Produzentengröße Flying Lotus und Bassist auf Alben von Kendrick Lamar und Mac Miller. Als Mann der Stunde gilt Saxofonist Terrace Martin, der das nächste Herbie-Hancock-Album produzieren wird. Eine Legende in L.A. ist Carlos Nino, der mit einer hochkarätig besetzten Band nach Hamburg kommt. Das Überjazz wird – wie gewohnt – zu einer Spielwiese für Entdeckungen. Wichtig ist, die Ohren weit aufzusperren und das Wort Jazz als Synonym für musikalische Vielfalt und ohne Grenzen zu verstehen.

Überjazz Fr/Sa 11./12.11., jeweils 19 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Karten 75 Euro
(2-Tage), 47,50 Euro (Tagesticket)