Im Schaufenster thronen lauter Frauenbüsten mit bunt gemusterten Gesichtern und Haaren aus Stoffwürsten, und drinnen geht es farbenprächtig weiter: Am Rand der Galerien-Szene eröffnet Renate Kammer, die streitbare Grande Dame, zum allgemeinen Saisonstart heute eine der schönsten Ausstellungen: Zu ihrem 70. Geburtstag variiert die venezolanisch Künstlerin Clemencia Labin hier das sehr aktuelle Thema Fremdheit auf humorvolle und weibliche Art. Schließlich sind wir Menschen unter unserer Haut doch alle gleich. Oder nicht?

Ihr Material ist meistens Stoff, ihr „Zeichenstift“ die (typisch weibliche) Nähmaschine, und ihre Arbeiten haben meist etwas anschwellend Körperhaftes. Vier phallushafte, bunte Türme mit rundlichen Köpfen stehen als Gruppe in einer Ecke. Dort aber, wo Clemencia Labin aus Stoffcollagen Bilder zusammennäht, entfaltet sie nochmal eine besondere Qualität. Mit ausgeprägtem Sinn für Farben, Gewichtungen und die Figur im Raum klingen in diesen eigentlich abstrakten Gebilden Porträts, Landschaften oder Figurengruppen an, die der Fantasie die Sporen geben.

Ergänzend hierzu sei die Ausstellung bei Melike Bilir zu empfehlen. Dort in der Admiralitätstraße, wo jetzt alle Galerien eröffnet haben, zeigt Clemencia Labin eine raumfüllende Installation mit allerhand Küchengegenständen, eingenäht in Stoffpolster. Titel: „Mi Cocina“.

Überhaupt sind diesmal in den Galerien außergewöhnlich gute Frauen zu entdecken: Bei Mathias Güntner reduziert Brigitte Waldach die Themen Raum und Zeit aus dem Werk des Musikers John Cage in einer wunderschönen, sehr zum Denken anregenden Installation auf nackten, nur mit einzelnen Worten versehenen Wänden. Die Worte verbindet sie mit schwarzen Gummifäden, die sie durch die Wand hindurch in einem schmalen dunklen Kabinett unter Beleuchtung kreisförmig bündelt. Stille steht darüber, und man denkt über den Anfang und das Ende allen Seins nach, über Gegenwart, Raum, Klang und Zufall.

In der Galerie Sfeir-Semler pflegt die libanesisch-syrische Künstlerin Mounira Al Solh arabische Erzähltradition vor dem Hintergrund ihrer eigenen Familiengeschichte. In einem Film interviewt sie ihre beiden Großmütter und lässt sie erzählen. Und in weiteren Ausdrucksformen wie comicartiger Malerei und Stickerei spürt sie anhand exemplarischer oder konkreter Gegenstände den unterschiedlichen Erinnerungen an Flucht, Notverkäufe, Heimatverlust und Neuanfänge nach, und damit an das Überleben im Angesicht sich regelmäßig wiederholender Katastrophen im Nahen Osten.

Ebenfalls mit Stoff arbeitet die japanische Künstlerin Aiko Tezuka, die gemeinsam mit Yoshida Shingo in der Mikiko Sato Galerie am Rand des Kontorhausviertels am Klosterwall ausstellt. Im wahrsten Sinne des Wortes sucht sie eine materielle und bildliche Entsprechung des Phänomens „Ge-Schichte“, indem sie Stoffe aus unterschiedlichen Zeiten oder Kulturen ineinander webt.

Galerien Fr 9.9., 18.00-22.00, Admiralitätstraße 71, Münzplatz 11 und Klosterwall 13, Eintritt frei