Verlasse nie dein Bett! Geh nie ans Fenster! Schau nie hinter den Vorhang! Das sagt sich das kleine neunjährige Waisenmädchen, als es nachts merkwürdige Geräusche auf der Straße hört. Die Kleine zieht sich ängstlich die Bettdecke über den Kopf, aber dann überwiegt die Neugierde halt doch. Sie verlässt das Bett. Sie geht ans Fenster. Sie schaut hinter den Vorhang. Sieht einen großen Riesen, der durch die Straßen Londons stapft. Und weil sie ihn gesehen hat, steckt er sie in einen Sack und nimmt sie in Siebenmeilenschritten mit in sein Riesenland.

Diesmal sind es drei Buchstaben. „BFG“, das steht für „Big Friendly Giant“. Steven Spielberg hat damit das berühmte Kinderbuch „Sophiechen und der Riese“ von Roald Dahl verfilmt. Aber unweigerlich muss man an Spielbergs anderen, seinen berühmtesten Kinderfilm denken, der mit den zwei Buchstaben: „E.T.“. Den hat er damals mit der Drehbuchautorin Melissa Mathison realisiert, und die hat nun auch bei „BFG“ noch einmal mit dem Erfolgsregisseur gearbeitet, bevor sie noch vor der Fertigstellung des Films im November 2015 gestorben ist.

Zwei Filme nur haben die beiden zusammen gemacht, schon deshalb drängt sich ein Vergleich auf. Und irgendwie ist „BFG“ ja eine Art verkehrter E.T.: Damals fand ein Junge einen sehr kleinen, sehr hilflosen Außerirdischen und half, ihn vor den Erwachsenen zu schützen. Diesmal wird ein winziges Mädchen in ein Land voller Riesen entführt und hilft ihrem „Großen Freundlichen Riesen“ gegen seine noch viel größeren, aber grundbösen und kinderfressenden Brüder.

Roald Dahl hat sein Buch übrigens just in jenem Jahr veröffentlicht, als „E.T.“ in die Kinos kam,. Schon damals, 1982, hat Spielberg das Buch des Briten seinen Kindern vorgelesen. Und erzählt es nun, auf seine Art, noch einmal Millionen anderen Kindern – in dem Jahr, in dem Dahl 100 Jahre alt geworden wäre. Es ist, als ob sich da gleich mehrere Kreise schließen würden.

Eine Szene dürfte dafür den Schlüsselreiz gegeben haben. Der gütige Riese, der im Gegensatz zu seinen neun Brüdern wie Blutschlucker oder Fleischfetzenfresser keinen Namen hat, stapft nachts in das Land der Träume, fängt da Träume wie Irrlichter ein und stopft sie in trübe Gläser, um sie später den Menschen einzugeben. Das sind gute und schlimme Träume. Und das ist natürlich ein wunderbares Bild für Spielberg selbst, diesen Giganten der Traumfabrik, der den Menschen ebenfalls Träume beschert, nicht in Gläsern, aber in Filmen. Gute Träume wie „E.T.“, „Indiana Jones“, „Tim und Struppi“, aber auch Albträume wie „Krieg der Welten“, „Der Soldat James Ryan“, oder „A.I.“.

Aber Spielberg identifiziert sich nach eigenen Aussagen nicht nur mit dem Riesen, sondern auch mit dem kleinen Kind, das noch naiv-unschuldig an das Gute glaubt. So wie ja auch der Regisseur in all seinen Werken immer wieder das Gute beschwört und der schnöden realen Welt eine bessere, ideale entgegenhält.

Spielberg ist damit einerseits der ideale Mann für diese Verfilmung, andererseits auch wieder nicht. Denn Dahl hat selbst in seinen Kinderbüchern auch finstere Welten erschaffen, die eher einem Tim Burton (in der Dahl-Verfilmung „Charlie und die Schokoladenfabrik“) oder einem Wes Anderson (in Dahls „Der fantastische Mr. Fox“) entsprechen. Spielberg hat hier zudem erstmals mit Disney zusammengearbeitet, jenem Studio, das seinen Feenzauber bekanntlich schon im Vorspann über alle Filme ergießt und von jeher alles allzu Abgründige, Finstere familiengerecht glattbügelt.

Spielberg weiß mit seinem bewährten Stab Dahls Welt adäquat auf die Leinwand zu zaubern. Dahls wunderlich falsche Sprache der Riesen namens Gobblefunk wurde weitestgehend beibehalten. Und hinter „BFG“ steckt Mark Rylance, der für Spielbergs vorigen Film „Bridge Of Spies“ einen Oscar gewann – obwohl der hinter all der digitalen Nachbearbeitung kaum zu erkennen ist. Dass die Szenen zwischen dem Neun-Meter-Mann und dem Dreikäsehoch so gut funktionieren, liegt vor allem daran, dass Spielberg nicht wie üblich vor Green Screens drehte, sondern eine Hybridform entwickelte, um echtes Spiel und Digitaleffekte weitestmöglich gleichzeitig aufzunehmen.

Der Neuentdeckung Ruby Barnhill als Sophie aber fehlt der Liebreiz einer Drew Barrymore in „E.T.“, sie geht einem mit ihrer dauernden Besserwisserei zuweilen sogar ein bisschen auf die Nerven. Und dann findet Spielberg nie so ikonische Bilder wie jenes, in dem ein Junge mit dem Fahrrad durch den Mond zu radeln scheint, woran wir auf immer „E.T.“ erkennen können.

Hübsch dagegen, wie die Kleine und der Große schließlich die britische Queen (Penelope Wilton aus „Downton Abbey“) überzeugen wollen, gegen die bösen Riesen vorzugehen. Da wird noch mal ein altes, liebgewordenes Märchen-England-Bild heraufbeschworen, das mit dem Brexit jäh dahin ist, dem man sich aber deshalb umso lieber hingibt. Nur merkwürdig, wie dann am Ende Soldaten ins Land der Riesen geschickt werden, um den Terror zu beenden. Da kommt plötzlich ein militanter Unterton durch, der so gar nicht kind-, auch nicht Spielberg-
gerecht ist.

Ausgerechnet bei einem seiner Lieblingsprojekte ist Spielberg – vielleicht aus Respekt vor Dahl, aus Respekt vor der Vorlage – unter seinen Möglichkeiten geblieben. Wie schade. Der Film mit den drei Buchstaben jedenfalls bleibt Siebenmeilenschritte weit hinter dem Film mit den zwei Buchstaben zurück.

„BFG – Big Friendly Giant“ USA 2016, 115 Minuten, ohne Altersbeschränkung, Regie: Steven Spielberg, Darsteller: Mark Rylance, Ruby Barnhill, täglich im Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Savoy (OF), UCI Mundsburg/Othmarschen-Park/Wandsbek