„Ist das Kunst, oder kann das weg?“ Diese Frage entzündete sich vor 30 Jahren auch an Joseph Beuys’ „Fettecke“ – ein übereifriger Hausmeister hatte in der Düsseldorfer Kunstakademie die Installation des Professors einfach so entsorgt. In der „Millerntor Gallery“ sieht das etwas anders aus: Die 2011 „aus einer Schnapsidee“, so Mitinitiator Michael Fritz, entstandene Benefiz-Ausstellung ist bis heute die einzige dauerhafte Galerie in einem Fußballstadion.

Längst ist die „Millerntor Gallery“ auch zum internationalen Festival für Kunst, Kultur und Musik geworden. Vor allem aber ist sie ein Raum für künstlerische Entfaltung und Gelegenheit zum kulturellen Dialog mithilfe der großen Fußballbühne. „Der Zauber, der von der ,Millerntor Gallery‘ ausgeht, ist eine ganz besondere lebendige Kraft“, sagt der Hamburger Künstler Björn Holzweg, der von Beginn dabei ist. „Man kann das nicht mit einer normalen Kunstausstellung vergleichen“, sagt der frühere Street-Artist.

Hier trifft Urban Art auf Fotografie, Installation auf Malerei, bildende Kunst mit Skulpturen auf Bewegtbild. Auch wenn die Kuratoren bei der sechsten Auflage im Millerntor nicht wie im Vorjahr angedacht das inzwischen komplette zugebaute Stadion nutzen, gibt es auf mehr als 8000 Quadratmetern von Donnerstag bis zum Sonntag genug zu sehen. Werke von 160 Künstlern zeigen globale Vielfalt. Darunter sind namhafte Kulturschaffende wie Jim Avignon aus Berlin, der Brasilianer Cranio, Alice Pasquini aus Italien oder Shamsia Hassani aus Afghanistan, aber auch Hamburger Nachwuchs wie der erst 15-jährige, überaus talentierte Liam Tanzen: Seine Porträtzeichnung von St.-Pauli-Legende Walter Frosch ziert eine Wand auf der Promenade der Südtribüne, daneben ist eine spektakuläre Kombination aus Wandbild und Installation von Wow123 alias Markus Genesius zu bestaunen. Er zählt zur zweiten Generation in der deutschen Graffiti-Szene.

Auf dem Weg zur Haupttribüne hat sich Fabian Wolf mit schwarz-roter Säulenmalerei verewigt, und unten in den Katakomben erinnert fortan der seit 15 Jahren auf St. Pauli lebende Mik Rahner mit seinem großen Fliesenmosaik „Esso-Tankstelle“ an ein Stück Kiez, das so nicht mehr existiert. Wie alle anderen Künstler bekommt der gebürtige Münchner aus etwaigen Verkaufs­erlösen nur 30 Prozent, 70 Prozent aller Einnahmen (Verkäufe, Eintrittsgelder, Spenden) gehen an Viva con Agua.

An die weltweit helfende Trinkwasser-Initiative fließt bei der „Millerntor Gallery“ stets das Gros der Überschüsse. Im Vorjahr kamen bei fast 11.000 Besuchern gut 90.000 Euro für Viva con Agua zusammen. Dazu tragen auch diesmal wieder musikalische Unterstützer wie der britische Sänger Ben Gallers bei, der am Donnerstag (20.45 Uhr) bei der Vernissage spielt, oder die Pfälzer Band Jupiter Jones mit ihrem Konzert am Freitag (22 Uhr).

Die interaktive Schau wird am Sonnabend (15 Uhr) von einem Symposium ergänzt. „Wie gestalten Kunst und Sport den gemeinschaftlichen Raum?“, fragt sich dann auch Hausherr Oke Göttlich. Der Präsident des FC St. Pauli hat schon beim ersten Rundgang durch die „Miilerntor Gallery“ erkannt, „dass man vertraute Punkte im Stadion plötzlich mit ganz neuen Augen sieht“.

Und fast alles, was an den zuvor neu weiß grundierten Wänden entstanden ist, kommt nicht etwa weg, sondern ist wiederum ein gutes Jahr lang zu sehen. Ist ja Kunst!

„Millerntor Gallery“ 14. bis 17.7., donnerstags 18 bis 24 Uhr, freitags 16 bis 24 Uhr, sonnabends 12 bis 24 Uhr, sonntags 12 bis 20 Uhr, Millerntor-Stadion, Harald-Stender-Platz, Eintritt 7, ermäßigt 3 Euro, Festival-Pass 19,10 Euro, Kinder unter 12 Jahren frei