Es hört sich wie ein Marketing-Gag an: „Tangerine L.A.“ ist der erste Kinofilm, der mit iPhones gedreht wurde. Als Werbeslogan wäre diese Information kontraproduktiv, wenn nicht jede Kritik als Erstes feststellte, dass man dem Film das nicht ansieht. Dabei ist „Tangerine L.A.“ ein guter Beweis dafür, dass es einmal mehr unsere Wahrnehmungsgewohnheiten sind, die den Soft- und Hardwareversionen hinterherhinken und nicht ­umgekehrt.

In der Tat sieht „Tangerine L.A.“ nicht so aus wie noch die ersten Handy-filme vor einigen Jahren. Statt schlecht belichteter Wackelbilder sind hier atmosphärisch großartige Aufnahmen von Los Angeles im dunstigen Sonnenuntergangslicht zu sehen. „Technisch“ ist nichts zu bemängeln. Was nicht heißt, dass man dem Film seine Drehform nicht doch ansieht, nur anders als erwartet. Und das ist es, was diesen Film spannend macht.

Deutlich wird das von der ersten Szene an, in der die Heldinnen des Films, die Transgender-Sex-Arbeiterinnen Sin-Dee (Kitana Kiki Rodriguez) und Alexandra (Mya Taylor) sich an einem Donut-Laden zum Kaffee treffen. Sin-Dee hat gerade einen Monat im Gefängnis verbringen müssen und erfährt nun von Alexandra, dass ihr Zuhälter und Lover sie betrogen hat. Es ist eine intime Szene, in der die Kamera nah dranbleibt an den Reaktionen der Figuren, die hier ihre Temperamente hochfahren, während gleichzeitig deutlich wird, dass sie eine große Freundschaft verbindet. Auf der Straße um sie herum geht unterdessen die Welt ihren gewohnten Gang, unwissend, dass hier gefilmt wird.

Die Unscheinbarkeit der Smartphone-Kamera ermöglicht eine atemberaubend intime Verzahnung von alltäglichen Stadtaufnahmen und Spielhandlung. Dass der deutsche Verleih dem Originaltitel „Tangerine“ ein „L.A.“ hinzufügte, macht durchaus Sinn, denn tatsächlich tritt Los Angeles als eine Art dritte Hautperson in Erscheinung. So „ungeschminkt“ und unmittelbar hat man insbesondere den Stadtteil Hollywood, in dem Sin-Dee und Alexandra sich in ihrem Drama um Eifersucht, Rache und Freundschaft die Hacken ablaufen, bisher selten gesehen.

„Tangerine L.A.“ USA 2015, 88 Minuten, ab 16 Jahren, Regie: Sean Baker, Darsteller: Kitana Kiki Rodriguez, Mya Taylor, Karren Karagulian, täglich im Abaton und Zeise