Es gibt Einladungen, die man auf keinen Fall annehmen sollte. Im Thriller „Verräter wie wir“ fällt der Russe am anderen Ende des Restaurants schon von Weitem durch sein lautes und respektloses Gebaren auf. Zu solch jemandem möchte man sich nicht an den Tisch setzen. Aber der Abend ist nicht so verlaufen, wie er sollte.

Eigentlich ist der Londoner Poesieprofessor Perry (Ewan McGregor) mit seiner Frau Gail (Naomie Harris) in Marrakesch ja im Romantikurlaub, weil sie ihre Ehekrise überwinden wollen. Sie kann seinen Seitensprung aber nicht vergessen. Und dann muss sie, eine erfolgreiche Anwältin, auch noch beruflich telefonieren und lässt ihn allein am Tisch ­zurück.

Ein düsteres Drama, das die Geheimdienste im Zwielicht zeigt

Also trinkt Perry halt ein Glas mit Dima (Stellan Skarsgård). Begleitet ihn auch noch zu einer ziemlich wilden Party. Der Schöngeist erfährt in dieser Nacht, dass sein Gastgeber ein hohes Tier der Russenmafia ist. Noch so ein Moment, in dem man sich tunlichst verdrücken sollte. Aber da ist es schon zu spät. Und am nächsten Abend macht ihm der Russe ein verzweifeltes Angebot: Er will beim britischen Geheimdienst auspacken über seine Organisation – und über britische Abgeordnete, die von ihr geschmiert werden. Aber nur, wenn er und seine Familie dafür in Großbritannien untertauchen können. Den Kontakt soll der Herr Professor herstellen.

Aber bei dem einen Kontakt bleibt es natürlich nicht. Denn Dima, oberster Geldwäscher der Russenmafia, ahnt, dass ihn der MI6 in London nur benutzen will. Und hat nur Vertrauen zu dem armen Perry. So muss dieser – weil er ein Ehrenmann ist und sich durchaus berechtigt um Dimas Familie sorgt – immer wieder an vorderste Front. Von Marrakesch über London nach Paris, Bern und in die französischen Alpen.

Es ist nicht ohne Ironie, dass die Rolle der Ehefrau Gail von Naomie Harris gespielt wird, die amtierende Miss Moneypenny in den jüngsten James-Bond-Filmen. Aber „Verräter wie wir“ ist die Verfilmung eines John-le-Carré-Romans, und wiewohl auch le Carré immer wieder über Geheimdienste schreibt, denen er selbst einst gedient hat, sind seine Werke doch so ziemlich das genaue Gegenteil von Ian Flemings 007. Kein strahlender Supermann, der in Hochglanzbildern an exotischen Orten weilt und den Schurken mit Spielzeugtricks das Handwerk legt. Stattdessen düstere Dramen, die die Geheimdienste im Zwielicht und von Maulwürfen durchsetzt zeigen und am Schluss selten ein Happy End parat halten.

Das jüngste, vor drei Jahren erschienene Opus des Altmeisters, „Verräter wie wir“, lieferte die Grundsituation eines typischen Hitchcock-Films: Unschuldige und unbescholtene Figuren geraten in das Mahlwerk von Gut und Böse. Wegen Marrakesch wird man zunächst an „Der Mann, der zu viel wusste“ denken. Wenn in der Mitte des Films Dimas Familie bei einem Museumsbesuch vor den Augen der Mafiosi entwischen soll, wird man auch an „Topaz“ denken. Das bietet eine ganz andere Spannung als nur durch reine Action-Effekte. Das ist klassischer Suspense, weil der Zuschauer sich sofort mit den Protagonisten identifiziert. Und bis zum Schluss mit ihnen zittert.

John le Carré produziert fast alle Verfilmungen seiner Bücher selbst mit und hat so ein Auge und ein Händchen auf deren Ausarbeitung, sei es bei „Der ewige Gärtner“, der Neuverfilmung von „Dame König As Spion“, „A Most Wanted Man“ oder der aktuellen TV-Serie „The Night Manager“. Das ist auch bei „Verräter wie wir“ nicht anders, wo er sogar einen kleinen Gastauftritt als Museumswärter absolviert: noch so ein Hitchcock-Moment.

Ewan McGregor ist der attraktivste Poesieprofessor der Kinogeschichte

Inszeniert wurde der Film von einer Frau, Susanna White. Man muss das an dieser Stelle erwähnen, weil Regisseurinnen im Actionfach, noch dazu bei einem solch aufwendigen Projekt, noch immer die absolute Ausnahme sind. Und so besticht dieser Thriller durch eine doppelte Sicht: die des alten Hasen le Carré (im steten Austausch mit dem kongenialen Drehbuchautor Hossein Amini) und den dezidiert weiblichen Blick auf das Genre, der den Fokus denn auch auf die Frauen an der Seite der ungleichen Männer setzt.

Und, ganz nebenbei, auch ein Drama über Männlichkeit und deren Definition erzählt. Denn Ewan McGregor als sicher attraktivster Poesieprofessor der Kinogeschichte leidet darunter, dass seine Frau viel erfolgreicher ist als er, fühlt sich deshalb zu dem sich ultrapotent inszenierenden Dima hingezogen und setzt sich diesem Abenteuer auch deshalb aus, um sich als Mann zu beweisen. Als dritter Mann im Bunde agiert zudem Damian Lewis, der als MI6-Chefoperateur ebenso zwielichtig erscheint wie als Nicholas Brody in der „Homeland“-Serie, ein Mann, dessen Ruf angeknackst ist und der sich ebenfalls beweisen muss, dass er noch Manns genug ist für den Job.

Bei „Verräter“ ging es John le Carré auch um die Welt nach dem Finanzcrash von 2008, um den schleichenden Machtverlust Großbritanniens und die Auswirkungen, die das auf das moralische System der Engländer hat. Angesichts der jüngsten Brexit-Ereignisse ein Film von höchster Aktualität.

„Verräter wie wir“ Großbritannien 2015, 108 Minuten, ab 16 Jahren, Regie: Susanna White, Darsteller: Ewan McGregor, Naomie Harris, Stellan Skarsgård, täglich im Abaton (OmU), Cinemaxx Dammtor, UCI Mundsburg/Othmarschen