Wie das fiktive Künstlerleben in der Country-Metropole Nashville so läuft, erzählt seit einigen Jahren die gleichnamige US-Serie, die völlig unverständlicherweise nach vier Staffeln nicht verlängert wurde. Im Mittelpunkt stehen hier allerlei Musiker, die in erster Linie eines wollen: Songs schreiben, Musik machen, auf einer Bühne stehen. Und denen es in zweiter Linie darum geht, die Liebe ihres Lebens zu finden, was sich immer wieder als ausgesprochen schwierig erweist. Mal weil das Gras beim Nachbarn immer noch ein bisschen grüner scheint, mal weil Trunksucht, Eifersüchteleien oder grundsätzliche charakterliche Defizite dem großem Glück im Wege stehen.

Doch auch wenn die nach oben offene Unglücksskala mal wieder strapaziert wird, ein neuer Song geht immer. Oder besser: Geht vor allem dann, denn nichts befeuert die Kreativität so sehr wie der Liebesschmerz. Und an diesem Punkt trifft Fiktion auf Wirklichkeit, trifft „Nashville“-Star Rayna James (Connie Britton, 49) auf Alternative-Country-Star Lucinda Williams (63), die am 26. Juni auf Kampnagel ihr aktuelles Album „The Ghost Of Highway 20” vorstellt.

Während Rayna James sich in der TV-Serie an ihrer Immer-noch-immer-wieder-Liebe Deacon Claybourne abarbeitet, hat Lucinda Williams für all die Aufs und Abs des Lebens Songs gefunden, hat ganze Alben mit Trauerarbeit gefüllt – nicht nur, weil die große Liebe plötzlich zerbrach, auch weil erst ihre Mutter, dann ihr Vater starb. Großartige, tief berührende Alben sind das, von Kritikern bejubelt, mit Grammys und Americana Awards ausgezeichnet. Das „Time Magazine“ nannte sie schon 2002 „Amerikas beste Songschreiberin”, und seitdem ist Lucinda Williams eher noch besser geworden. Dabei von einer Produktivität, die ihre Fans freut, aber Plattenbosse mit strengem Businessplan die Stirn runzeln ließ.

Auch dies eine Parallele zu „Nashville“: Während dort nämlich Rayna James die Faxen dicke hatte und mit „Highway 65“ ein eigenes Label gründete, tat Lucinda Williams das im wirklichen Leben. Der Name ihrer Firma: „Highway 20“. Fast zu gut, um ein Zufall zu sein.

Schon „West“ (2007) hatte sie als Doppelalbum rausbringen wollen, schrieb Song um Song, nur um sich dann dem Veto des Labels beugen zu müssen, dem ein solches Paket zu schwer vermarktbar erschien. Spätestens da reifte in Lucinda Williams der Entschluss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, volle kreative Kontrolle zu gewinnen, sich nicht mehr verbiegen zu müssen. Und so erschien 2014 mit „Down Where The Spirit Meets The Bone“ ein Doppelalbum, das ihren Vorstellungen schon deutlich näher kam.

Und nun also „The Ghosts Of ­Highway 20“. Wieder ein Doppelalbum, 14 Songs, von denen der längste fast 13 Minuten dauert. Songs über den Tod, über die Begrenztheit des Lebens, mit Titeln wie „Death Came“, „If There’s A Heaven“ oder „Faith And Grace“. Keine Jammerlieder, sondern die manchmal nüchterne, manchmal melancholische Auseinandersetzung mit dem, was ist oder sein wird.

Auch „Factory“ von Bruce Springsteen singt sie, ein Lied über einen Mann, der Tag für Tag in die Fabrik geht, die sein Leben auffrisst, ihn unglücklich macht, ohne dass er je aus der Mühle herauskäme. Eine Mahnung für Springsteen, nie so enden zu wollen. Eine Mahnung wohl auch für Lucinda Williams, die ausdruckstärkste Stimme im Land des Country-Americana. Keine Serienfigur, eine Frau aus dem wahren, wahrlich nicht immer glamourösen Leben. Und damit noch um Längen interessanter.

Lucinda Williams So 26.6., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Karten zu 47,50 Euro im Vorverkauf und an der Abendkasse