Werden die Taschentücher für diesen Kinofilm vorsorglich schon mit der Kinokarte verkauft? „Ein ganzes halbes Jahr“ ist ein ­richtiges Schluchzmovie, ein klassisches romantisches Drama. Ein Bestseller der Erfolgsautorin Jojo Moyes diente dabei als Vorlage: der reiche Yuppi Will Traynor (Sam Claflin), der bislang ein Leben auf der Überholspur führte – teures Apartment in London, blonde Freundin, Sport-Crack – wird als Fußgänger angefahren und ist danach querschnittsgelähmt. Nur sein Kopf lässt sich noch ­bewegen.

Die Lebenslust ist weg, er will nur noch sterben. So vegetiert Will auf dem Upper-upper-Class-Landgut seiner Eltern dahin, an Geld und perfekter medizinischer Ausstattung mangelt es nicht, aber wofür morgens im Rollstuhl losrollen? Dann tritt die reizende Pflegerin Louisa Clark (Emilia Clarke) in sein Leben, chaotisch, charmant und süß. Wer sich als Mann nicht in sie verliebt, der hat kein Herz.

Will Traynor entdeckt sein Herz, verliebt sich tatsächlich, doch am Ende – Vorsicht, Spoiler! – reicht auch die größte Liebe nicht. Dank Sterbehilfe in der Schweiz scheidet er aus dem Leben. Louisa bleibt allein mit der idealen Liebe zurück: der Erinnerung. Mit Toten hat man keinen Beziehungskrach.

Die Hauptdarsteller Sam Claflin und Emilia Clarke spielen gut. Mal ist der Film ganz leicht, dann wieder schwer. Und die Todesräume der Sterbehilfe-­Organisationen sind so hell eingerichtet, sie sind so Ikea-perfekt, dass man sich bereits im Himmel wähnt. Trotzdem bleibt einem das Weinen im Halse stecken. Aber warum?

Die Ausgangslage des Films ähnelt stark dem französischen Kinoerfolg „Ziemlich beste Freunde“, selbst die Lähmungen der Männer sind vergleichbar. Aber während bei „Ziemlich beste Freunde“ das Leiden wirklich gezeigt wird, die Atemnot, das Schwitzen, die Inkontinenz, blendet der Hochglanzfilm „Ein ganzes halbes Jahr“ all das aus. Es wird schlicht nicht bebildert. Der zweite Pfleger Nathan (Stephen Peacocke) erzählt der verliebten Louisa Clark lediglich von den schweren Momenten.

Bei „Ziemlich beste Freunde“ findet der Pariser Querschnittsgelähmte Philippe trotz aller Qual am Ende durch die Liebe wieder Lebenslust. Nicht so bei „Ein ganzes halbes Jahr“. Will Traynor will trotz aller Liebe sterben. Er fühlt sich mit seiner Behinderung „unnütz“ und meint, sein Leben sei wertlos.

„Ein ganzes halbes Jahr“ ist ein süßlich verpacktes, knallhartes Plädoyer für die Sterbehilfe. Warum soll Will Traynor sterben, warum nicht leben? Es sind die protestantischen Länder wie England, Holland, die Schweiz, die bei der Sterbehilfe vorne sind. Weil es eine „vernünftige“ Entscheidung zu sein scheint. Filme aus katholisch geprägten Ländern haben eine ganz andere Botschaft: Querschnittslähmung ist nicht das Ende eines erfüllten Lebens.

Will Traynor ist ein intelligenter, attraktiver Mann mit einer starken Behinderung. Seinen Tod im Film anschauen zu müssen, schmerzt sehr. Aber nicht so, dass man Romantic-Comedy-Tränen vergießt. Es ist ein Schmerz, der wütend macht.

„Ein ganzes halbes Jahr“ USA 2016, 110 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Thea Sharrock, Darsteller: Emilia Clarke, Sam Claflin, täglich im Blankeneser, Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Hansa, Passage, Savoy, UCI Mundsburg/Othmarschen/Wandsbek