Man muss sich den New Yorker Investment-Banker Davis als zutiefst unglücklichen Menschen vorstellen. Dabei scheint er in seinem Leben bisher alles richtig gemacht zu haben. Er ist glücklich verheiratet mit einer begehrenswerten Frau, die auch noch die Tochter seines Chefs ist. Er hat eine traumhafte Villa. Er hat Erfolg im Job. Es könnte nicht besser laufen für den Edel-Yuppie. Dann stirbt seine Frau bei einem so unnötigen wie ­tragischen Verkehrsunfall an seiner Seite. Und nichts ist mehr, wie es war.

Das Drama wirft ihn total aus der Bahn. Vor allem: Er kann nicht trauern. Er spürt keinen Schmerz über den schicksalhaften Verlust. Er zwingt sich, zu weinen, doch es wollen keine Tränen kommen. Aber er verspürt eine nie gekannte, seltsame Lust zur Zerstörung. Er will sein Leben am liebsten kurz und klein hauen, um noch einmal neu beginnen zu können. Er sucht Halt in einer Welt, die ihm von heute auf morgen schrecklich fremd geworden ist.

Der kanadische Regisseur Jean-Marc Valleé hat bereits mit solch überraschenden wie überzeugenden Filmen wie dem Oscar-geehrten „Dallas Buyers Club“ oder „Wild – Der große Trip“ für sich eingenommen. In „Demolition – Leben und Lieben“ zeigt er nun einen Mann, dem jegliche Gefühlsregung verloren gegangen scheint. Nicht immer ist die Geschichte in sich stimmig, nicht immer können die temporeich geschnittenen und dennoch stillen Bilder den Zwist des Protagonisten fühlbar machen. Doch es ist vor allem das außergewöhnliche Ensemble, das diesen Film dann doch sehenswert macht.

Allen voran Jake Gyllenhaal, der vielseitige Charakterdarsteller, der diesem gebrochenen Mann bewegendes Format verleiht. Er spielt Davis mit Trauermiene, hängenden Mundwinkeln und leeren Augen. Er ist der glücklos Suchende, der seinem Leben einen neuen Sinn geben will. Er kann nicht umgehen mit dem Tod seiner Frau Julia (Heather Lind). Er erinnert sich in Rückblenden an seine Zeit mit ihr, eine glückliche Zeit, und doch spürt er keine Liebe für sie. Keine Trauer.

In der Notfallklinik, in der Julia auf dem OP-Tisch stirbt, versucht er, sich aus einem Automaten eine Tüte M&M‘s zu ziehen. Die Packung bleibt hängen. Noch in derselben Nacht beginnt er, lange Beschwerdebriefe an die Automatenaufsteller-Firma zu schreiben. Briefe, in denen er sich nicht nur den Ärger über die defekte Maschine, sondern den Frust seines ganzen Lebens von der Seele schreibt.

Der Witwer Davis entwickelt einen ungeheuren Drang zur Zerstörung

Sein Chef und Schwiegervater Phil (Chris Cooper), dem die seltsame Wandlung seines Schwiegersohnes nicht verborgen bleibt, gibt ihm einen folgenschweren Rat. Wenn man etwas reparieren wolle, müsse man es erst einmal völlig auseinandernehmen, um den Fehler zu finden und es dann wieder zusammenbauen zu können. Davis nimmt den Rat wörtlich und findet Gefallen daran. Er entwickelt einen ungeheuren Drang zur Zerstörung.

Er nimmt den Luxuskühlschrank in seinem Haus komplett auseinander. Und lässt die Trümmer liegen. Dann zerlegt er eine komplette Toilette in der Firma wegen einer knarzenden Tür brachial in ihre Einzelteile. Ja, er bezahlt sogar Arbeiter, die ein Haus in der Nachbarschaft abreißen, damit er bei der zerstörerischen Arbeit mitmachen kann. Schließlich zerlegt er sein eigenes Haus. Und fühlt sich wohl dabei. Man kann das seltsame Verhalten Phils nicht immer nachvollziehen. Doch Jake Gyllenhaal versteht es, die Gefühlswelt dieses Rastlosen auf überzeugende Weise nachvollziehbar zu machen.

Eines Nachts klingelt das Telefon. Die Sachbearbeiterin der Automatenfirma ist dran. Karen (Naomi Watts) hat all die Briefe von Phil gelesen. Sie ist bewegt, gerührt und neugierig auf den Mann. Sie treffen sich auf dem Rummel in Coney Island. Davis lernt Karens Sohn Chris (Judah Lewis) kennen, ein Kind, in dem ebensolche destruktive Kräfte brodeln.

Der Witwer und der Junge freunden sich an. Sie machen heimlich Schießübungen im Wald. Sie zerlegen schließlich gemeinsam das Haus. Sie helfen sich gegenseitig. Und auch die platonische Beziehung zu Karen hilft Davis, sich aus seinem in Schutt und Asche liegenden Seelental zu befreien.

Im Zentrum aber steht immer Jake Gyllenhaal, der den Zuschauer für sich einnimmt und der seinem unausgegorenen Charakter Seiten abgewinnt, die Mitgefühl provozieren. Auch die Beziehung zu Karens pubertärem Sohn macht ihn irgendwie sympathisch. Und irgendwann reicht ein Vorschlaghammer einfach nicht mehr aus. Das Werkzeug muss immer größer werden.

So kommt Davis eines Tages mit einem ausgewachsenen Bagger angefahren. Es sei schon spannend, was man heutzutage alles auf Ebay bekommen kann, meint er lapidar.

„Demolition“ ist ein verstörendes Märchen von einem, der auszog, das Leben und das Lieben wieder zu lernen. Hier wird ein Mensch zur leibhaftigen Abrissbirne. Regisseur Valleé erzählt dieses melancholische und auch von viel schwarzem Humor durchzogene Melodram, als wäre es ein Thriller. Ständig knappe Einstellungen, Aufnahmen mit der Handkamera, schnelle Schnitte suggerieren immer neue Bedrohungen und eine große Katastrophe, die dann aber doch nicht eintritt.

Die durchweg imponierenden Schauspieler haben alle Mühe, der nicht immer durchdachten Story Halt zu geben. Aber es gelingt.

„Demolition – Lieben und Leben“ USA 2015, 100 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Jean-Marc Valleé, Darsteller: Jake Gyllenhaal, Naomi Watts, Chris Cooper, Judah Lewis, täglich im Abaton (OmU), Holi