Der belgische Theatermacher Alain Platel sorgt mit berührenden Choreografien vor allem seiner Kompanie Les Ballets C de la B weltweit für Furore. Neben der Bewegung nimmt die Musik zuletzt einen immer größeren Raum ein. Nach der furiosen Pop-Oper „Coup Fatal“ und der gefeierten Produktion „Tauberbach“ gastiert er mit „En avant, Marché!“ (Vorwärts, marsch!) vom 31. März bis 2. April auf Kampnagel.

Gemeinsam mit dem Regisseur Franck van Laecke und dem Komponisten Steven Prengels widmet er sich diesmal den Geheimnissen des Blasorchesters. In einem Mix aus Theater, Tanz und natürlich viel Musik führt das Trio das Orchester als soziales Refugium vor. Zusammengehalten durch die Leidenschaft zur Musik, offenbart sich unter der Oberfläche ein wilder Haufen von Individuen mit eigenwilligen Vorlieben und Wesenszügen. Sichtbar an der Geschichte eines alternden Posaunisten, der ernsthaft erkrankt und wider seinen Willen an die Becken versetzt wird. „Mich interessiert diese Spannung zwischen dem Individuum, das sich so weit wie möglich entfalten will und dem Bedürfnis, zu einer Gemeinschaft zu gehören“, sagt Alain Platel. Schon immer hat er ein humanes und soziologisches Interesse an seinen Figuren. Lange Jahre hat er nicht in der Kunst, sondern in einer Behinderteneinrichtung gearbeitet.

Das Blasorchester gilt ihm da gleichsam als Urzelle der Gesellschaft, und in den 30 prachtvoll in Uniformen gewandeten Mitgliedern des Musikzugs Hoisdorf hat er ein passendes Objekt für seine tragikomische Sozialstudie gefunden. An jedem Aufführungsort bindet Platel eine andere lokale Blaskapelle ein, die lange eifrig per Video probt. Es gibt viel Marschmusik zu hören, aber auch neu arrangierte Werke klassischer Komponisten, etwa Gustav Mahlers „Des Knaben Wunderhorn“ oder Giuseppe Verdis „Il Trovatore“. Und da verliert sich dann auch der zweifelhafte Ruf des Blechs als Hort von Militäreuphorie oder Bierzeltseligkeit.

Auch diesmal bindet er wie häufig sowohl professionelle Künstler als auch Laien ein. Der Abend erzählt keine zusammenhängende Geschichte, sondern setzt einzelne Schlaglichter. Vor den Augen des Zuschauers entsteht ein Kaleidoskop aus Erinnerungen des kranken Musikers, etwa der Liebe zu seiner erst jungen, später reifen Frau.

Alain Platel kommt vom Ballett, doch den Begriff der Choreografie fasst er weit und über alle Genregrenzen hinweg. Dabei dienen ihm seine Mittel der Menschenliebe und Melancholie, um auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Passion zu balancieren. Denn das ist es, was ihn in seinen Arbeiten vor allem antreibt: eine große Liebe zu den Menschen und ihren Eigenheiten, Schwächen und Besonderheiten, die sie mitunter durchs Raster der Leistungs­gesellschaft fallen lässt.

Alain Platel: „En avant, marché!“ Donnerstag 31.3. bis
Sonnabend 2.4., jeweils 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20-24 (Anreise hier), Karten zu 12,- bis 32,- unter T. 27 09 49 49