Er könnte auch „Otto Normalverbraucher“ heißen, der von Vincent Lindon gespielte Franzose Thierry Taugourdeau in „Der Wert des Menschen“. Dabei geht es im Film weniger um Durchschnittskonsum als vielmehr um ein Durchschnittsschicksal: Thierry nämlich, Mitte 50, ist arbeitslos geworden. Gleich die erste Szene versetzt den Zuschauer ohne Einleitung in eine der Standardsituationen, die das Leben eines Arbeitslosen so bestimmt – das Beratungsgespräch im Jobcenter. Es geht höflich zu, aber es geht nichts voran.

Schlag auf Schlag reiht der Film Szenen aus Thierrys Leben aneinander. Fast immer sind sie in einer Einstellung gedreht, mit einer Handkamera, die sich wenig bewegt und Thierry oft über die Schulter oder wie beiläufig von der Seite in den Blick nimmt. Es ist, als würde die Alltäglichkeit seines Schicksals noch betont. Thierry ist verheiratet, hat einen behinderten Sohn im jugendlichen Alter. Die nächste Szene zeigt ihn beim Bewerbungsgespräch per Skype. Brav verspricht er, mit weniger Lohn zufrieden und zeitlich völlig flexibel zu sein, und muss sich dann doch indirekt beleidigende Dinge anhören. Etwa, dass sein Lebenslauf nicht gut geschrieben sei.

Unterbrochen von privaten Einblicken, wo man Thierry beim Hausputz, bei Reparaturen oder beim Tanzkursus mit seiner Frau sieht, geht es weiter auf dem Weg des verwalteten Arbeitslosenschicksals: Beim Bewerbungstraining muss sich Thierry die geballte Verhaltenskritik seiner Mitabsolventen anhören. Er nimmt schließlich einen Job als Kaufhausdetektiv an, um festzustellen, dass er es dabei mit Leuten zu tun hat, die schlechter dran sind als er.

Geradezu beängstigend detailreich und realistisch ist das, was der französische Filmemacher Stéphane Brizé („Mademoiselle Chambon“) hier im scheinbar dokumentarischen Stil an Szenen aus dem Leben eines älteren Arbeitslosen zusammenträgt. Was sich nach einem bedrückenden und freudlosen Film anhört, verwandelt sich durch den Schauspieler Vincent Lindon – der für diese Rolle in Cannes als bester Schauspieler ausgezeichnet wurde – in ein geradezu elektrisierend präzises Porträt eines Ausschnitts aus der Gegenwart. Es ist Lindons Geheimnis, wie er es zustande bringt, aber man kann das Auge nicht abwenden von diesem Durchschnittsmenschen. Thierry macht und tut, ohne je über eigene Bedürfnisse und die erlittenen Kränkungen zu reden, aber als Zuschauer ist man so absolut bei ihm, dass man am Ende solidarisch mit ihm hinwerfen möchte.

„Der Wert des Menschen“ F 2015, 93 Minuten, ohne Altersbeschränkung, Regie: Stéphane Brizé, Darsteller: Vincent Lindon, Karine de Mirbeck, Matthieu Schaller, täglich im 3001