Was an Herman de Vries zunächst einmal auffällt, ist sein brustbedeckender Rauschebart. Mag der noch als „künstlertypisch“ durchgehen, entspricht der 84-Jährige, dem das Ernst Barlach Haus jetzt eine betörend schöne Ausstellung gewidmet hat, ansonsten keineswegs üblichen Künstlerklischees. De Vries, ein studierter Biologe, lebt nämlich inmitten eines großen Waldes, den er jeden Tag durchwandert. Stundenlang beobachtet er die Natur und sammelt ein, was ihm für seine Arbeit tauglich erscheint.

Da das Barlach-Haus vor allem Holzskulpturen beherbergt und der Architekt des Gebäudes, Werner Kallmorgen, minimalistisch mit viel dunkelgrauem Naturstein gebaut hat, war schnell klar, dass de Vries in Hamburg vornehmlich Steine und Hölzer ausstellen würde.

Dem Direktor und Kurator Karsten Müller ist eine der schönsten, geradezu perfekt mit dem skulpturalen Gebäude und dessen Umgebung harmonierenden Ausstellungen gelungen, die bislang dort gezeigt wurden. Die Serialität der De-Vries-Arbeiten wird sogleich aufgebrochen durch die Einzigartigkeit der einzelnen Stücke, die an Wänden, auf Podesten, Borden und den steinernen Böden aufgereiht zu finden sind. Jeder Stein hat eine andere Oberfläche, jedes Holz eine andere Färbung, Faserdichte und Härte, einen anderen Pilz-, Moos- oder Flechtenbewuchs.

Herman de Vries, ein Niederländer, der in Unterfranken lebt, feiert das ­Lebendige, von der Zeit Gegerbte. Schon in den 1950er-Jahren stellte er die Frage: „Was ist Müll?“; gefundene Plakatschnipsel, Wellpappe, Laub und Stanniolpapier rahmte er als „collages trouvés“. Anders als der Konzeptkünstler Marcel Duchamp (1887–1968), der das „objet trouvé“ in Gestalt eines Pissoirs zur Kunst erklärte, ist de Vries der Meinung, dass es die Natur ist, die auszustellen sich besonders lohnt.

Durchweg werden bei ihm die Steine und Fundhölzer in einer formstrengen, dem wissenschaftlichen Arbeiten entlehnten Ordnung präsentiert. Was dabei im Betrachter entsteht, ist ein Sinn für die Poesie der üblicherweise völlig unbeachteten Dinge am Wegesrand. Vom Material Holz, etwa von den 30 harten, zerfurchten Eichenstumpen, die die Wildschweine im Wald angenagt haben, geht eine geradezu erhabene Kraft aus, und jede Baumwurzel hat Charakter.

Auf der Biennale in Venedig hat Herman de Vries 2015 den niederländischen Pavillon bestritten – mit in Kästchen geriebener Erde, im Wald gesammelten Blättern und Lagunen-Algen. Er hatte großen Erfolg damit.

Ausstellung Herman de Vries Do 11.2., 11 bis 18 Uhr, Ernst Barlach Haus, Baron-Voght-Straße 50a, Eintritt 6, ermäßigt 4 Euro; die Ausstellung läuft bis 16.5., dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr Zwei weitere Herman-de-Vries Ausstellungen Do 11.2., 11 bis 17 Uhr, Galerie Elke Dröscher, Grotiusweg 79, Eintritt frei; die Ausstellung läuft bis 2.4., dienstags bis freitags von 11 bis 17 Uhr, sonnabends von 11 bis 14 Uhr Galerie Holger Priess Do 11.2., 14 bis 19 Uhr, Admiralitätstraße 71, Eintritt frei; die Ausstellung läuft bis 2.4., dienstags bis freitags von 14 bis 19 Uhr, sonnabends von 11 bis 15 Uhr