Der Mann will sich raushalten. Seine Züge sind gegerbt, sein Blick wirkt wissend, seine Haltung abgeklärt. Man spürt, er hat viel erlebt und erlitten und ist zu dem Entschluss gekommen: es reicht. Er hat sich zurückgezogen, „den Menschen so fern“ wie nur irgend möglich, 1954 in einem abgelegenen Hochplateau des Atlas-Gebirges. In einem Land, in dem nichts wächst. Er lebt ein einfaches Leben als Lehrer, jeden Morgen strömen die Kinder heran. Geduldig bringt er ihnen Französisch bei, die Sprache der Kolonisatoren. Ein wenig erinnert er an den Dorfschullehrer in „Haben und Sein“ von Nicolas Philibert.

Gespielt wird dieser Daru mit der Aura der großen Einzelgänger von Viggo Mortensen, der seinen „Herr der Ringe“-Blockbuster-Ruhm immer wieder mit kleinen Independent-Juwelen versetzt hat. Schnell ist klar, dass dies mehr ist als einfach nur die Geschichte eines Lehrers und seiner Schüler. Stattdessen entwickelt sich aus diesem Keim ein leise glimmender Western über einen Mann, der sich den äußeren Umständen nur widerwillig beugt. Und über zwei Männer, die sich auf einer schweren Reise langsam näher kommen. Dabei fügt sich der Existenzialismus von Albert­ ­Camus’ Kurzgeschichte „Der Gast“, die hier lose adaptiert wurde, ausgesprochen gut in die Strukturen und Mythen des klassischen Westerns ein.

Den Soundtrack hat Nick Cave zusammen mit Warren Ellis komponiert

Weil die französischen Soldaten und Polizisten Mitte der 50er-Jahre, in den Anfängen des Unabhängigkeitskrieges, zu viel mit den algerischen Rebellen zu tun haben, bringen sie Daru einen jungen Mann vorbei, der seinen Cousin, einen Schafdieb, ermordet hat. Als Kriegsveteran hat Daru die Expertise, um ihn in die nächstgelegene Stadt zu ­eskortieren und dort der französischen Justiz zu übergeben. Da er jedoch weiß, dass dies mit größter Wahrscheinlichkeit mit einer Hinrichtung enden würde, sperrt er sich gegen den Auftrag. Da sich der „Gast“ allerdings auch weigert, die Gelegenheit zum Davonlaufen zu ergreifen, bleibt ihm schließlich nichts anderes übrig als die Reise anzutreten.

Auf dem beschwerlichen Weg durch grandiose, aber unwirtliche Landschaften (Kamera: Guillaume Deffontaines) werden die Männer nacheinander von der rachedurstigen Familie Mohameds, einer Truppe algerischer Rebellen und schließlich von der französischen Armee attackiert. Aus beredten Taten und knapp gehaltenen Worten offenbaren sich langsam ihre Lebensgeschichten, hervorgekitzelt durch die melancholischen Klagen des Soundtracks, den Nick Cave mit Warren Ellis komponiert hat.

Während Mortensen die wortkarge Ruhe im Stile von Clint Eastwood verströmt, verteidigt Reda Kateb seine Entscheidungen mit jugendlich verzweifeltem Trotz: Er ist fest entschlossen, sich zu opfern, um die Spirale von Gewalt und Rache zu durchbrechen, die seine Familie zu zerstören droht. Daru hingegen versucht neue Lebensfunken in dem Jüngeren anzufachen. Da ist der Western wieder ganz bei Camus, bei den existenziellen Fragen zu Leben, Tod, Schicksal und Eigenverantwortung.

„Den Menschen so fern“ F 2014, 102 Minuten, ab 12 Jahre, Regie: David Oelhoffen, Darsteller: Viggo Mortensen, Reda Kateb, täglich im Abaton (OmU; Allende-Platz 3, Anreise hier) und im Studio (Bernstorffstraße 93, Anreise hier)