Wortwitzige Boulevardkomödien über die Abgründe scheinbar kultivierter Mittelschichtsmenschen begeistern das Publikum im Theater und im Kino schon länger. Als starke Vertreterin des Genres gilt die Pariser Dramatikerin Yasmina Reza. Ihre Werke wie „Kunst“ und „Der Gott des Gemetzels“, Letzteres 2011 von Regisseur Roman Polanski verfilmt, füllen die Bühnenhäuser weltweit. Einen Clou landeten auch die Autoren Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière mit der 2010 uraufgeführten Komödie „Der Vorname“ nach ähnlichem Muster.

Zwei Jahre später wurde das Stück von seinen beiden Urhebern für die Leinwand inszeniert, als Theaterstück feierte es in Hamburg 2012 deutschsprachige Erstaufführung im Schauspielhaus und entwickelte sich später zum Dauerbrenner im Winterhuder Theater Kontraste. Jetzt hat sich Kino-Regiegröße Sönke Wortmann („Der bewegte Mann“, „Das Wunder von Bern“) des doppelbödigen Stoffs angenommen.

Mit Stars wie Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters und Justus von Dohnányi legt Wortmann einen köstlich boshaften Spaß vor, der die Befindlichkeiten hier nun deutscher Akademiker und wohlsituierter Bürger mittleren Alters präzise aufs Korn nimmt – das facettenfreudig und ironisch aufspielende Ensemble hat entscheidenden Anteil am Gelingen des Projekts. Als kiffende Hippie-Mutter, der viel am Kontakt zu einem jüdischen Ehepaar liegt, trägt zudem Iris Berben in einer Nebenrolle ihren Teil dazu bei.

Sehenswert ist bereits der Rahmen – ein Abendessen, zu dem der linksliberale Germanistik-Professor Stephan (Herbst, hier recht jung für diesen Typus) und seine Frau Elisabeth (Caroline Peters) ein­laden, eine Lehrerin mit Doppelnach­namen: Spürbar hingebungsvoll hat Ausstatterin­ Jutta Freyer im Ex-Regie-rungssitz Bonn ein Eigenheim gestylt, zwischen dessen schlichten Holzmöbeln, dem Flügel und vielen Bücherregalen man einen mainstreamigen Post-68er-Geist förmlich wabern wähnt. Höhlenartig gegenüber der Außenwelt abgeschlossen und ein wenig gespenstisch beleuchtet, spiegelt das Haus die selbstgerechte Mentalität seiner Bewohner.

Die kriegt schnell Risse. Nämlich als Thomas (Fitz), Bruder von Elisabeth und großmäuliger Immobilienmakler, den Anwesenden erklärt, wie sein Sohn heißen soll, den er mit seiner Freundin Anna (Janina Uhse) erwartet: Adolf soll es sein.

Nicht zuletzt der pingelige und besserwisserische Akademiker Stephan ist darüber außer sich: Der Name dieses Diktators, Antisemiten und Massenmörders ginge gar nicht, der sei sozusagen „verbrannt“. Worauf Thomas seinem Schwager vorwirft, er spreche Hitler geradezu „heilig“ mit seiner ewigen Bezugnahme auf ihn. „Hitler ist ein Popstar, den Leute wie du am Leben erhalten“, blafft er den linkslastigen Bildungsbürger an. Und entdeckt in dessen Regal die kommentierte Neuausgabe von „Mein Kampf“.

Bei pointierten Dialogen eskaliert die Katastrophenstimmung in diesem deutschen Kammerspiel alsdann in ungeahnte Höhen. Vom Politischen wird es schnell persönlich: Egos und Eitelkeiten prallen aufeinander, tiefe Griffe in die eigene Vergangenheit und in bislang verschwiegene Seiten der Gegenwart tun ein Übriges, um den Esstisch in eine Arena von Kampfhähnen zu verwandeln. Zu denen gehört ungewollt auch der empfindsame Künstler René (von Dohnányi.) Tiermord und eine unerhörte Liebesbeziehung gehören zu den Tatbeständen, die dabei ans Licht kommen. Und die das harmonische Familien- und Freundeskonstrukt erst mal ad absurdum führen.

All das mitanzusehen ist – obwohl die Methode und auch die Geschichte nicht neu sind – ein temporeicher Genuss. ­Zugleich ist es ein Einblick mit Identifikationsangebot in die Typologie unserer Gegenwart.

„Der Vorname“ Deutschland 2018, 91 Minuten, ab 6 Jahren, Regie: Sönke Wortmann, Darsteller: Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters, täglich im Abaton, Cinemaxx Dammtor/Harburg, Elbe, Holi, Koralle-Kino, Passage, UCI Mundsburg/
Othmarschen-Park