Wenn in der Kantine aus Frikadellen plötzlich Fleischpflanzerl werden, ist Oktober in Hamburg

Das Oktoberfest hat geschafft, was der CSU und dem rheinischen Karneval bisher versagt geblieben ist: die gesamtdeutsche Ausdehnung. Landauf, landab finden sich weiß-blaue Tischdecken; Kneipen, die normalerweise auf norddeutsche Biermarken und in Specksoße schwimmende Plattfische spezialisiert sind, dekorieren auf Festzelt um. Autohändler und Möbelhäuser vertrauen auf die Werbewirksamkeit bayerischer Lebensart und veranstalten Miniwiesn.

Freut man sich auf einen Grillabend bei Freunden, wird man mit Weißwürsten, Festbier und handgerührter gehaltvoller Käsecreme, in Fachkreisen Obazda genannt, überrascht. In der Kantine heißen die Frikadellen jetzt Fleischpflanzerl, und binnen einer Woche kann man seinen Jahresbedarf an Schweinefleisch mühelos decken. Selbst im Bistro des Fitnesscenters werden Haxen angepriesen. Frauen, die sonst im äußersten Fall zum Alsterwasser greifen, trinken plötzlich Bier ohne fremde Zusätze - wenn auch aus viel zu kleinen Gläsern.

Die Arbeit von Generationen von Ökotrophologen scheint vergebens. Aber mit Salbeitee und Tofubratling wäre ein Oktoberfest so lustig wie ein Rosenmontag auf dem Horner Kreisel. Die Bierseeligkeit ist es ja auch, die die Freunde des Getränks mittlerweile aus aller Welt anlockt. Was vor knapp 200 Jahren in München als harmlose Landwirtschaftsausstellung begann, ist mittlerweile das global größte Massenbesäufnis - durchorganisiert wie der Produktionsprozess eines bekannten ortsansässigen Automobilherstellers. Inklusive Schichtbetrieb und Nachschub just in time.

Das inzwischen nicht nur auf der Theresienwiese, sondern in ganz Deutschland "o'zapft is", hängt vermutlich damit zusammen, dass man außer Hunger, Durst und etwas gutem Willen zur Gemütlichkeit nichts braucht. Keine Umzüge, peinlichen Verkleidungen, nervenden Büttenreden oder den Hang zum kollektiven Kontrollverlust. Vor allem aber ist der nationale Wiesn-Rausch Anfang Oktober wieder vorbei. Die CSU würde bleiben wollen ...